Wenn Bundeskanzlerin Merkel diese Woche auf den US-Präsidenten trifft, wird es auch um die Handelsbeziehungen der beiden Länder gehen. Der neue amerikanische Protektionismus hilft der Weltwirtschaft zwar kaum, aber die deutsche Obsession, Handelsbilanzüberschüsse zu erwirtschaften, auch nicht. Die deutschen Überschüsse werden immer stärker kreditfinanziert – ein Kriterium, mit dem sonst häufig Finanzmarktblasen identifiziert werden.
Finanzmarktübertreibungen sind etwas, dem gegenüber deutsche Haushalte instinktiv wohl genauso abgeneigt sind, wie Staatsdefizite oder kreditfinanzierter Konsum. In nur wenigen Ländern dürfte es daher so populär sein wie in Deutschland, wenn der Finanzminister ankündigt, trotz hoher Einnahmen weder die Ausgaben deutlich zu erhöhen, noch die Steuern zu senken.
Es mag gute ökonomische Gründe für eine «schwarze Null» im Staatshaushalt und gegen kreditfinanzierten Konsum oder Wertpapierkäufe geben. In Deutschland kommen aber immer auch noch moralische oder kulturelle dazu.
Überschüsse sind gut, Defizite sind schlecht. Dies ist bereits sprachlich so angelegt: Schuld und Schulden sind sich deutlich ähnlicher als im Englischen «guilt» und «debt». Entsprechend ist «Sparen» positiv belegt und zwar im normativen Sinne.
Sparen ist mehr als eine volkswirtschaftliche Größe oder die Differenz von Einnahmen und Ausgaben. Es signalisiert Konsumverzicht und ist eine Tugend. Entsprechend muss es – wenn nicht vom Staat sogar gefördert – dann doch vom Markt wenigstens entlohnt werden.
Die von der EZB eingeführten negativen Einlagezinsen widersprechen daher allen deutschen Gerechtigkeitsinstinkten. Dass sie schnell mit dem normativen Begriff «Strafzinsen» gebrandmarkt wurden, ist nicht verwunderlich.
Genauso unverständlich erscheint vielen Deutschen die Kritik an ihrem Handelsbilanzüberschuss. Der Titel Exportweltmeister wird schließlich mit Stolz getragen. Dabei ist dieser Überschuss rein volkswirtschaftlich gesehen lediglich die Differenz von Sparen und Investitionen.
Gefühlt ist er jedoch viel mehr, nämlich das Signal, international wettbewerbsfähig zu sein – ohne exzessive Lohnentwicklungen oder dem Müßiggang zu frönen. Mehr kann da eigentlich nicht schaden. Schließlich ist Deutschland eine alternde Gesellschaft, die irgendwann auf ihre Ersparnisse zurückgreifen möchte.
Inzwischen beträgt das deutsche Auslandsvermögen über acht Billionen Euro – rund das 2,5-Fache des Bruttoinlandsprodukts. Und hier liegt die Schwierigkeit. Auslandsvermögen helfen nur bei der Bewältigung der demographischen Lasten, wenn sie sich wieder liquidieren lassen. Dazu müssten ausländische Schuldner aber einmal Exportüberschüsse erwirtschaften.
Wie schwierig dies ist, musste Deutschland im Falle Griechenlands erfahren. Derzeit führt der deutsche Leistungsbilanzüberschuss von rund 8% des BIP zu Kapitalexporten in ähnlicher Höhe. Ein immer größerer Anteil dieser Kapitalexporte wird inzwischen sogar über die Zentralbanken verrechnet. Die Erfolge der Exportwirtschaft sind ohne diese deutschen Kredite an das Ausland nicht denkbar oder nachhaltig.
Finanziert Deutschland damit nicht eine Blase der eigenen Exportwirtschaft und exzessive Entwicklungen, die es kulturell selbst stark ablehnt? Das erste Treffen von Trump und Merkel dürfte spannend werden. Für ihre Diskussion wäre es hilfreich, die kulturellen Eigenheiten des Anderen zu kennen – genauso wie die eigenen. (J. Safra Sarasin)