Die Globalisierung wird durch die COVID 19-Krise nicht rückgängig gemacht, aber sie führt zu einer Neuausrichtung des bisherigen Modells. Durch das Nearshoring, die Regionalisierung des Handels, entstehen Chancen für kostengünstigere Produktionsländer in der Nähe konsumstarker Volkswirtschaften.
In diesen Ländern muss aber erheblich in Infrastruktur investiert werden, um Flaschenhälse bei Verkehrswegen und der Energieversorgung zu beseitigen.
Globalisierungs-Schwächen vor Augen geführt
Der Ausbruch der Corona-Krise führte beeindruckend die Schwächen der Globalisierung vor Augen. Die extrem arbeitsteilige Fertigung von Gütern über Länder und Kontinenten hinweg, kam zeitweise nahezu vollständig zum Erliegen.
Mehr als ein Jahr später gibt es immer noch Versorgungsengpässe. China – der weltweit größte Produzent von pharmazeutischen Wirkstoffen – hatte zum Beispiel im März 2020 die industrielle Produktion fast vollständig eingestellt, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen.
Das führte zu einem Schock entlang der gesamten Produktionskette. Manche Länder sind zu 90 bis 95 Prozent ihrer Medikamenten-Importe auf Indien und China angewiesen und standen vor großen Schwierigkeiten.
„Neuordnung des Globalisierungsmodells muss her “
Es stimmt zwar, dass sich die Globalisierung schon vor Covid-19 verlangsamt hat. Aber es ist dennoch unwahrscheinlich, dass sie in absehbarer Zeit ganz enden wird, selbst angesichts des großen Ausmaßes der aktuellen Krise. Dazu sind die dahinter stehenden Faktoren zu komplex. Für Unternehmen ist die Veränderung der Lieferkettenstrukturen mit enorm hohen Kosten verbunden.
Die ausländischen Direktinvestitionen in den Schwellenländern bleiben hoch. Die Investitionen des privaten Sektors im Ausland werden wahrscheinlich weitergehen, allerdings könnten die Unternehmen ihre Investitionen diversifizieren und Verbindungen zu neuen Lieferanten an anderen Standorten zum Beispiel in Ostasien aufbauen.
Vergangene Krisen haben gezeigt, dass die Menschen oft zu früheren Mustern zurückkehren, sobald eine Krise vorbei ist. Um also künftig Beeinträchtigungen durch Unterbrechungen von Lieferketten und Produktionsprozessen zu minimieren, ist aber dringend nötig, eine Neuordnung des Globalisierungsmodells anzugehen.
Regionalisierung des Handels
Wachsen wird die Bedeutung von „Nearshoring“, die Regionalisierung des Handels. So gibt es etwa in Europa Bemühungen, die Produktion von Überseestandorten in Länder zu verlagern, die kostengünstiger produzieren, aber geografisch näher liegen.
Um die potenziellen Nutznießer dieser Entwicklung zu identifizieren, betrachten wir die Handelsbeziehungen von Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien. Auf diese Länder entfallen 16 Prozent der weltweiten Konsumausgaben und der überwiegende Teil des europäischen Konsums.
Aufgrund ihrer stärkeren Handelsbeziehungen könnten Polen, die Tschechische Republik, die Türkei und Ungarn vom Nearshoring profitieren. Außerdem bieten sie ein verlässliches Geschäftsumfeld und vergleichsweise niedrige Löhne.
„Flaschenhälse bei Verkehrswegen und Energieversorgung müssen beseitigt werden“
Mit 27 Prozent der weltweiten Konsumausgaben sind die USA die größte Konsumdrehscheibe. Um sie herum könnten drei Länder von einer teilweisen Neuordnung der Lieferketten profitieren. Mexiko, Brasilien und Kanada gehören zu den 14 wichtigsten Produktionsstandorten weltweit.
Auf sie entfällt 1,2 bis 1,5 Prozent der globalen Produktionsleistung. Mexiko und Kanada sind auch die Hauptlieferanten für den US-Markt, auf die 14 Prozent beziehungsweise 13 Prozent der gesamten Importe in die USA entfallen – übertroffen nur noch von China mit 22 Prozent.
Da Brasilien und vor allem Mexiko deutlich niedrigere Arbeitskosten haben, werden sie wohl am stärksten von US-Nearshoring-Aktivitäten profitieren. In Asien entfallen auf China und Japan zwölf Prozent beziehungsweise sechs Prozent der weltweiten Konsumausgaben.
Exportanstieg in Vietnam
In den letzten Jahren hat vor allem Vietnam einen Anstieg der Exporte erlebt, da einige Unternehmen die Produktion aus China verlagert haben, um US-Zölle auf chinesische Waren zu vermeiden. Darüber hinaus ist der Lohnunterschied zu Vietnam aufgrund der steigenden Arbeitskosten in China beträchtlich.
Trotz infrastruktureller Einschränkungen ist Vietnam ein wichtiger Standort für die Produktion von Basiskonsumgütern geworden – COVID-19 wird diesen Wachstumspfad wahrscheinlich verstärken. Durch die Neuorganisation des Welthandels erhalten mehr Nationen Aufstiegschancen.
In diesen Ländern muss erheblich in Infrastruktur investiert werden. Flaschenhälse bei Verkehrswegen und der Energieversorgung müssen beseitigt werden, damit diese Länder ihr Potenzial entfalten können.
Mit der Aussicht auf Investoren aus dem Ausland werden Infrastrukturprojekte attraktiver, die natürlich auch enorm positive Auswirkungen auf den Lebensstandard der dort lebenden Menschen haben wird. Investieren wird wieder dinglicher, abseits von puren „Tech-Unternehmen“.
(Von der Heydt & Co AG)