Mit Blick auf die Besetzung wichtiger EU-Posten konnte die Politik in Europa nach langem Ringen die entscheidenden Personalfragen klären – und einen großen Eklat vermeiden. Anders bei der Wirtschaft in Europa: „In Wirtschaftsangelegenheiten sind die Europäer immer für ein Eigentor gut – sei es der Brexit mit all seinen Auswirkungen, die deutlich steigenden Neuverschuldungen in Frankreich und Italien oder der Dieselskandal, der mit der Autoindustrie eine der Schlüsselbranchen Europas erschüttert“, erklärt Lutz Neumann, Leiter Vermögensverwaltung der Hamburger Sutor Bank.
Doch auch aus anderem Grund dürfte das Wachstum in der Eurozone 2019 deutlich unter die 1-Prozent-Marke rutschen: Viele europäische Unternehmen haben verstärkt auf die chinesischen Wachstumsperspektiven gesetzt, die durch den Handelskonflikt mit den USA jedoch deutlich schlechter als erwartet ausfielen. Die in der Folge stark schwankenden Aktienkurse machen zunehmend Anleger nervös. Aus Sicht von Lutz Neumann besteht jedoch kein Grund, in Hektik auszubrechen.
Sorge in Deutschland: bislang robuste Inlandsnachfrage könnte sich abschwächen
In Deutschland macht sich inzwischen die Abkühlung der Weltkonjunktur deutlich bemerkbar, zudem schlägt der Handelsstreit USA/China weiterhin durch. Sorge bereitet darüber hinaus, dass sich nun auch die bislang robuste Inlandsnachfrage abzuschwächen droht, die zuletzt den Aufschwung getragen hat. Entsprechend ist der ifo-Geschäftsklimaindex im Mai erneut gesunken, und zwar von 99,2 auf 97,9 Punkte. Der deutschen Wirtschaft droht nun im zehnten Jahr des Aufschwungs die Puste auszugehen: Das ifo-Institut rechnet in seiner aktuellen Konjunkturprognose unverändert mit einem Wachstum von 0,6 Prozent für dieses Jahr – das wäre das schwächste Wachstum seit 2013.
Doch insgesamt steht die deutsche Wirtschaft nach einem Jahrzehnt des Aufschwungs noch immer gut da: Die Anzahl der Arbeitslosen liegt mit 2,25 Millionen auf einem Rekordtief seit der Wiedervereinigung, die Beschäftigung bewegt sich auf Rekordniveau und die öffentlichen Haushalte verzeichnen Überschüsse. Diese positiven Merkmale zeigen sich auch an der DAX-Entwicklung: „Trotz der Unsicherheiten hinsichtlich des wirtschaftlichen Ausblicks zeigt die deutsche Börse ‚Nehmerqualitäten‘ und kann das Quartal mit einem Plus von 6,1 Prozent im DAX beenden“, erklärt Neumann. „Jedoch ist dieser Anstieg nicht von allen Werten getrieben – zu unterschiedlich sind die Entwicklungen in den einzelnen Branchen.“
USA: Eingriffe in Warenhandel gehen auch an USA nicht schadlos vorüber
Die USA erhöhten Anfang Mai die Importzölle für chinesische Waren im Volumen von 200 Milliarden US-Dollar von zehn auf 25 Prozent. China konterte prompt mit Extrazöllen auf US-Produkte im Wert von 60 Mrd. US-Dollar. „Diese Aktionen gehören zu den größten Eingriffen in den Warenhandel der modernen Wirtschaftsgeschichte – und sie gehen auch an den USA nicht schadlos vorüber“, erklärt Lutz Neumann. So mehrten sich die Zeichen, dass auch die US-Konjunktur an Dynamik verliert. Der New Yorker Konjunkturindex ist im Juni mit dem größten jemals verzeichneten Rückgang binnen Monatsfrist eingebrochen. Aktuell geht die Meinung dahin, dass die US-Notenbank im Verlauf des Jahres Zinssenkungen vornimmt. Über das Wann und das Maß sind sich US-Präsident Trump und Fed-Chef Powell nicht einig. Waren am Anfang des Jahres noch weitere Zinserhöhungen erwartet worden, so ist das Pendel nun umgeschlagen.
Zinsen: Bundesanleihen mit Rekord-Negativrendite
Waren sich die Ökonomen vor sechs Monaten noch einig, dass die EZB Ende 2019 durch vorsichtiges Anheben des Leitzinses die nun bald vier Jahre dauernde Nullzinsphase beenden würde, so ist heute alles anders: „Es wird wieder über weitere Zinssenkungen der EZB spekuliert. Kein Wunder, denn Zinserhöhungen könnten bei den derzeit schwachen Wachstumsraten in der Eurozone den Aufschwung komplett abwürgen“, sagt Lutz Neumann. Die EZB hat allerdings durchblicken lassen, dass vor Mitte 2020 definitiv keine Zinssenkung kommen werde. „Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ist deutlich unter null Prozent gesunken, auf -0,32 Prozent. Das ist Rekord! Dies zeigt, dass viele Anleihe-Investoren Angst haben, dass die nächste Krise unmittelbar bevorstehen könnte“, analysiert Neumann.
Fazit: Wer entspannt investiert bleibt, ist auf der sicheren Seite
Die aktuellen Rahmenbedingungen machen es für Anleger nicht einfach. „Bundesanleihen mit Minusrendite sowie stark schwankende Aktienkurse sind für erfahrene Anleger noch lange kein Grund, nervös zu werden“, erklärt Lutz Neumann. Auch wenn Anleihen zurzeit weniger attraktiv seien, so könnten ausgewählte Unternehmensanleihen dennoch für Stabilität im Depot sorgen. „Und Aktien als Renditemotor sind nun einmal unerlässlicher Bestandteil der Vermögens-anlage. Niemand kann in die Zukunft sehen und die Entwicklung von Währungen, Zinsen oder Aktien sicher prognostizieren. Darum ist derjenige auf der sicheren Seite, der entspannt investiert bleibt“, empfiehlt Neumann. „Hektisches Traden, um vermeintlichen Renditen hinterherzujagen, ist gerade in der heutigen Situation alles andere als empfehlenswert. Denn Vermögen entstehen durch Investieren, nicht durch Spekulieren.“
(Sutor Bank)