Zwar ist die Situation in der Eurozone nur bedingt mit der japanischen Situation vergleichbar. Insbesondere die Immobilienblase ist in der Eurozone auf wenige Länder beschränkt und kein gesamteuropäisches Phänomen. Unter diesem Aspekt sind die Voraussetzungen für die Eurozone deutlich besser als für Japan der 90er Jahre. Vergleichbar hingegen ist die Verschuldungssituation des Staates. Vor der Krise 2007/2008 betrug die Verschuldung in der Eurozone bezogen auf das Gesamtbruttoinlandsprodukt rund 68% und stieg in den letzten Jahren auf fast 90% des BIP an. Während Japan eine steigende Verschuldung in Kauf nahm, um die Wirtschaft zu stabilisieren, geht Europa den entgegengesetzten Weg: Staatlicher Sparzwang zur Haushaltskonsolidierung. Der staatliche Nachfragerückgang kommt jedoch in einer Phase, in der viele Länder der Eurozone mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen haben. Die einen leiden unter hoher privater oder staatlicher Verschuldung (Spanien bzw. Italien), die anderen leiden unter erheblichen Strukturproblemen (Frankreich). Gemeinsam haben diese Länder, dass sie in den letzten zehn Jahren durch steigende Löhne ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland – dem Land, mit den geringsten Lohnsteigerungen – eingebüßt haben. Dieser Unterschied muss sich ausgleichen. Entweder über steigende Preise in Deutschland oder über den schmerzhaften deflationären Weg der fallenden Preise in der restlichen Eurozone. Demnach verbleibt – neben der Europäischen Zentralbank – von den großen und damit bedeutsamen Ländern der Eurozone nur noch Deutschland, das in der aktuellen Situation die notwendigen Impulse für eine wirtschaftliche Gesundung geben kann.
Zwei Wege – eine Lösung
„Deutschland hat prinzipiell in meinen Augen zwei Möglichkeiten, zur Gesundung der Eurozone beizutragen und gleichzeitig eine Deflation abzuwenden. Die erste – weniger effektive – sind höhere Staatsausgaben. Weniger effektiv, weil es sich ein relativ hoch verschuldetes Deutschland eigentlich nicht leisten kann und zudem die Länder mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten davon nur indirekt profitieren. Die zweite wesentlich bessere Maßnahme wären deutlich steigende Löhne. Zum einen würden die meisten Länder der Eurozone ihre Wettbewerbsfähigkeit relativ zu Deutschland verbessern – mithin würden die Angebotskräfte in diesen Ländern gestärkt. Zum anderen würde der positive Nachfrageeffekt höherer Löhne in Deutschland den meisten Ländern der Eurozone zu einer Zunahme der Exporte verhelfen. Beides zusammen genommen würde zwei Effekte nach sich ziehen: Die öffentliche Verschuldung könnte über höhere Steuereinnahmen zurückgeführt werden und die Eurozone baut ihre über zehn Jahre aufgebauten Divergenzen langsam wieder ab“, ist Prof. Dr. Bernd Rieger überzeugt.
Glaubt man den aktuellen Zahlen, so ist die Eurozone von diesem Szenario aktuell weit entfernt. So ist in Deutschland die Inflationsrate mit aktuell rund 1,7% immer noch deutlich niedriger als im Rest der Eurozone mit 2,4% – Deutschland gewinnt also gegenüber dem Rest Europas weiterhin an Wettbewerbsfähigkeit, was zum Teil – aber nicht nur – an der Lohnentwicklung und zum Teil an den mittlerweile deutlich niedrigeren Finanzierungskosten liegt. Hingegen ist die Inflationsrate in so wichtigen Ländern wie Italien mit rund 3% deutlich, die spanische und die französische dagegen mit knapp 2% nur leicht über der Deutschlands. Dies stellt mithin auch das größte Risiko für die Eurozone dar.
Deutschlands Stärke ist die große Gefahr
Sollte die wirtschaftliche Dominanz Deutschlands gegenüber seinen Partnern in der Eurozone nicht bald der Vergangenheit angehören, so steigt die Gefahr einer Deflation erheblich. Die Länder der Eurozone können dann ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland nur über eine relative Lohnsenkung erreichen. Die wiederum wirkt für sich genommen schon deflationär. Hinzu kommen der dadurch ausgelöste reale Anstieg der Schulden und ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Davon wäre selbstverständlich dann auch Deutschland negativ betroffen und auch hierzulande käme es zu den bereits skizzierten negativen Effekten. Eine deflationäre Spirale käme in der gesamten Eurozone in Gang an deren Ende ein Ergebnis stünde, das jedoch weitaus schlimmer wäre als das in Japan.
„Zusammengefasst bleibt festzuhalten: Der Schlüssel für oder gegen Deflation in der Eurozone liegt hauptsächlich in den Händen Deutschlands und der Europäischen Zentralbank. Gelingt es nicht, die Finanzierungskosten außerhalb Deutschlands zu senken und gleichzeitig die Löhne in Deutschland deutlich zu steigern, ist eine Deflation mit allen ihren negativen Konsequenzen kaum mehr zu vermeiden. Es ist also nicht die Inflation, die aktuell das größte Kopfzerbrechen bereiten sollten, sondern eindeutig die Deflation“, so die Befürchtung von Prof. Rieger.