Es handelt sich offenbar bei den Telefonnummern der abgehörten französischen Spitzenpolitiker um sog. „Selektoren“, anhand derer die weltweiten Datenströme von der NSA durchsucht werden. Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass die Franzosen 2010 mit den Amerikanern über ein kleines „No-Spy“-Abkommen verhandelt hatten – wohl vergeblich.
Frankreich als der älteste Verbündete der Vereinigten Staaten – schon im Unabhängigkeitskrieg haben die Franzosen den Kolonisten beigestanden – wurde nicht anders behandelt als andere „Ausländer“, obwohl gerade in jüngster Zeit Frankreich wieder eng an der Seite Amerikas stand im Kampf gegen den „Islamischen Staat“.
Jeder (Regierungschef), der nur im Ansatz die Interessen der USA berührt, wird belauscht. Und jeder Geheimdienst wird seinerseits alles in seiner Macht Stehende tun – zwar im Vergleich zur NSA begrenzt – um selbst möglichst unverfälschte Informationen aus anderen Staaten zu bekommen. Zeigt man mit dem Finger auf die NSA, zeigen drei Finger auf einen selbst. Dies gilt eben auch für die Franzosen, die ihren Geheimdiensten aktuell an diesem Mittwoch deutlich mehr Eigenleben gestatten.
Es sieht so aus, als stellten sich die Dienste über die Politik. Und so kommen wir zum Kernproblem von Geheimdiensten in rechtsstaatlichen Demokratien. Wie können diese Dienste arbeiten, ohne täglich elementare Menschenrechte zu verletzen? Wenn die Auslandsgeheimdienste Ausländer künftig so behandeln müssten wie Inländer? Was, wenn das Prinzip der Verhältnismäßigkeit angewandt werden muss für massenhaft Daten sammeln? Dies würde die Arbeit der demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Geheimdienste sicherlich erschweren. Aber auch nicht unmöglich machen. Die Debatte ist ähnlich wie bei der Vorratsdatenspeicherung. Wie viel Freiheit wollen wir aufgeben für ein Quäntchen mehr gefühlte Sicherheit?
Und wieder einmal zeigt es sich, dass den Politikern in Washington das Gefühl für den Umgang mit Alliierten fehlt. Gern werden, vom Präsidenten bis zum Unterabteilungsleiter, Reden über gemeinsame Interessen und Werte gehalten. Zugleich erhielten ihre Dienste offenbar über Jahre hinweg freie Hand gegen die höchsten politischen Repräsentanten der Verbündeten, darunter einige ausdrückliche „Freunde“ Amerikas. Erstaunlicherweise hat man in Washington kaum wahrgenommen, wie dies die transatlantischen Beziehungen vergiften kann. Die betroffenen Politiker in Europa fühlen sich hintergangen, die Öffentlichkeit getäuscht. Man reagiert empört. Der Einfluss einer Weltmacht hängt auch von ihrem glaubwürdigen Auftritt ab.
In Frankreich steht nun eine ähnliche Debatte bevor wie in Deutschland: es geht um Rechtfertigung der Zusammenarbeit mit den Amerikanern, die angesichts der Großwetterlage (Terrorismus, Ukraine) doch notwendig ist. Da werden sich die Franzosen fragen müssen, ob ihr eigenes neues Geheimdienstgesetz wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, das es just die NSA zum Vorbild hat.