Sachwerte / Immobilien

Die verschollene Inflation:
Warum steigen die Preise eigentlich seit Jahren nicht mehr?


Die massive Geldschwemme, mit der die Europäische Zentralbank seit vielen Jahren den Euroraum flutet, hat vor allem ein Ziel: Die Wirtschaft anzukurbeln und gleichzeitig die Preisstabilität sicherzustellen.
Als stabil gilt eine Teuerungsrate von annähernd zwei Prozent. Heute ist es kaum mehr vorstellbar, doch bis in die 90er Jahre waren deutlich höhere Inflationsraten Normalität. Die Notenbanken mussten damals einschreiten, um die Inflation auf zwei Prozent zu senken.

Warum die Preise nun schon seit mehreren Jahren trotz niedriger Zinsen und steigender Löhne nicht nennenswert zulegen, hat verschiedene Ursachen. Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG, beobachtet, dass die geldpolitischen Maßnahmen der Notenbanken teilweise gar nicht in der Realwirtschaft ankommen: „Die niedrigen Kreditzinsen werden von den Unternehmen nur zum Teil für Investitionen genutzt. Viele Aktiengesellschaften verwenden die günstigen Kredite, um eigene Aktien zu erwerben und binden somit Kapital. Das Geld bleibt daher zu einem großen Teil im Finanzkreislauf und kommt nur moderat in der Realwirtschaft an.“

Eine weitere Erklärung für die anhaltend niedrige Inflation ist die zunehmende Globalisierung. Durch sie ist der Preiskampf international härter geworden und Unternehmen verzichten teilweise aus Angst vor einem Wettbewerbsnachteil auf Preiserhöhungen. „Durch die Corona- Krise könnte zwar die Produktion einiger systemrelevanter Güter wieder nach Europa verlagert werden und deren Preise damit steigen. Insgesamt erwarte ich durch die Pandemie aber keine Ent-Globalisierung und damit auch keinen großen Effekt auf die Inflation. Die wesentlichen Warenströme werden weiterhin international bleiben.“
Durch den Lockdown und den starken Konsumeinbruch könnte die Pandemie vorübergehend zu einer leichten Deflation führen. Spätestens wenn die Wirtschaft mit Konjunkturprogrammen angekurbelt wird, dürfte die Inflation allerdings wieder anziehen. „Ich erwarte, dass die Inflation zum Jahresende wieder steigen und zumindest das Vorkrisenniveau erreichen wird. Eine galoppierende Inflation halte ich allerdings auch auf lange Sicht für sehr unwahrscheinlich.“

TROTZ CORONA: NACHHALTIGER ANSTIEG DES ZINSNIVEAUS BLEIBT UNWAHRSCHEINLICH

Dass auch die Märkte von einem langfristig niedrigen Zinsniveau ausgehen, lässt sich unter anderem an den Konditionen für lange Zinsbindungen ablesen. „In der Vergangenheit war die Zinsdifferenz zwischen einer zehn- und zwanzigjährigen Zinsbindung deutlich höher als heute. Und obwohl die Zinsen durch die aktuelle Situation leicht steigen, ist der Spread zwischen den Zinsbindungen nicht größer geworden.
Das zeigt, dass auch auf lange Sicht kein nennenswerter Zinsanstieg erwartet wird.“
Aktuell erhalten Kreditnehmer ein Baudarlehen mit zehnjähriger Zinsbindung ab 0,41 Prozent, bei 15 Jahren sind es 0,52 Prozent und bei 20 Jahren 0,82 Prozent. Erst bei einer Zinsbindung von 25 Jahren steigt der Sollzins über die 1-Prozent-Marke.

KONJUNKTURPROGRAMME: WEITBLICK STATT SCHNELLSCHUSS

Die Folgen der Pandemie haben viele Unternehmen hart getroffen und zu einem beispiellosen Wirt- schaftseinbruch geführt. Die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik wird im zweiten Quartal 2020 voraussichtlich um einen zweistelligen Prozentsatz zurückgehen. Eines ist daher in jedem Fall klar:
Die Pandemie macht Schluss mit der schwarzen Null. Die Diskussion um Konjunkturprogramme nimmt bereits an Fahrt auf. „Die Bundesregierung hat zu Beginn der Krise schnell reagiert und mit ihrem enormen Rettungsschirm viele Unternehmen unterstützt und Arbeitsplätze vorübergehend gesichert.
Mit den Lockerungen und der schrittweisen Rückkehr zu einer gewissen Normalität wird es darum gehen, die Wirtschaft wieder hochzufahren und den Konsum anzukurbeln“, erklärt Michael Neumann.

Im Hinblick auf die Konjunkturprogramme warnt er allerdings vor kurzfristigen Lösungen oder einem Gießkannenprinzip: „Die Politik darf jetzt nicht überstürzt handeln. Wir müssen uns fragen, wie wir in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren leben wollen und wie wir Deutschland innovativ und zukunftsorien- tiert gestalten können. Genau daran müssen die wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen ausgerichtet sein“, meint Michael Neumann. Die Corona-Krise biete eine einmalige Chance, die Wirtschaft umzugestalten. „Es macht wenig Sinn, eine Abwrackprämie 2.0 aufzusetzen, die auch für Verbrenner ausgezahlt wird. Wenn wir davon ausgehen, dass die Zukunft der Mobilität auf den öffentlichen Nahverkehr, auf Elektro- mobilität und andere alternative Antriebstechnologien setzt, dann sollte genau das auch gefördert werden. Für die Industrie ist das ein Anreiz, die ohnehin nötige Transformation schneller umzusetzen“, so der Experte Neumann.

BAUZINSEN: KONDITIONEN BLEIBEN GÜNSTIG

In den zuletzt gestiegenen Bauzinsen erkennt Michael Neumann keinen nachhaltigen Trend: „Die leichte Aufwärtsbewegung ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass die Banken in der aktuell unsicheren Zeit Risiken neu bewerten und Zinsrückgänge nicht komplett an ihre Kunden weitergeben.
Auf mittlere Sicht ist zwar ein moderater Anstieg möglich, doch der wird sich in einem überschaubaren Rahmen halten. Auch dann wird das Zinsniveau immer noch auf einem im historischen Vergleich absolut günstigen Niveau verbleiben.“

TENDENZ

Kurzfristig: eingeschränktes Aufwärtspotenzial
Mittelfristig: leicht steigend

(MEIN GELD)

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