Auf Sicht der vergangenen zwölf Monate lag der Zuwachs bei 3,5 Prozent, während er sich in der Zeit von 2011 bis Mitte 2014 lediglich bei moderaten 1,3 Prozent (annualisiert) bewegt hatte. „Steigende Löhne treiben die Inflation zwar nur in dem Maß, wie sie den Produktivitätsanstieg übertreffen“, erläutert Bell, „Doch es besteht nun große Unsicherheit hinsichtlich der Wachstumsaussichten in puncto Produktivität.“
Die Notenbanker stecken in einem Dilemma
Vor dem Ausbruch der Finanzkrise lag der Produktivitätszuwachs in Großbritannien nach Bells Angaben im Durchschnitt zwischen 1,5 und zwei Prozent. Dieser Wert ist im Zuge der Rezession deutlich gefallen, hat sich bei der nachfolgenden Konjunkturerholung allerdings zunächst nicht wieder erhöht. „Die Notenbank hat sich die Sichtweise zu eigen gemacht, dass die Produktivität langsam aber wieder das langjährige Niveau erreicht“, so Bell. Demzufolge wäre ein Lohnzuwachs von 3,5 Prozent gerade noch akzeptabel, ohne dass das Inflationsziel der BoE von zwei Prozent in Gefahr geriete.
„Sind allerdings die Erwartungen der Notenbanker zu optimistisch oder steigen die Löhne schneller als jetzt, wächst auch die Inflationsgefahr, so dass die Notenbank unweigerlich die Zinsen erhöhen muss. Das steigert auf der anderen Seite aber auch das Risiko einer Rezession“, beschreibt Bell das Dilemma der BoE. Zusätzlicher Druck geht vom weiterhin überdurchschnittlich guten Konsumklima in Großbritannien aus. Seit Ende 2012 steigen die Ausgaben der britischen Verbraucher offiziellen Zahlen zufolge um jährlich 4,6 Prozent. „Da dieser Aufwärtstrend nun schon
das dritte Jahr anhält, kann man sicherlich von einem Konsum-Boom auf der britischen Insel sprechen“, so der Ökonom.
Stärke der Pfunds und angekündigte Steuererleichterungen verschaffen Luft
Steigende Löhne und eine hohe Konsumnachfrage liefern der BoE an sich gute Argumente für eine Zinserhöhung. „Allerdings sind das nicht die einzigen Faktoren, die es zu beachten gilt“, schränkt Bell ein. So wird der britische Schatzminister in Kürze Steuersenkungen im Gegenwert von etwa einem Prozentpunkt des Bruttoinlandsproduktes ankündigen.
„Ein anderer Faktor ist die Stärke des britischen Pfunds an den Devisenmärkten“, sagt Bell. „Das gibt den Notenbankern die Möglichkeit, zunächst weiter eine Politik der ruhigen Hand zu verfolgen.“ Der Außenwert des Pfunds liegt gemessen am Index der Bank of England um sieben Prozent über dem Durchschnittswert des
Vorjahres und ganze 20 Prozent über seinem Tief vom März 2013. „Dieser Anstieg ist bereits eine Form geldpolitischer Straffung – eine durch den Markt getriebene Alternative zu einer Zinserhöhung“, sagt Bell. Der Experte widerspricht in diesem Zusammenhang der am Markt geäußerten Meinung, dass die aktuell niedrige Inflationsrate eine Zinsanhebung wenig wahrscheinlich macht.
„Die Inflation lag jeweils bei fünf Prozent, als der geldpolitische Ausschuss Ende 2008 sehr aggressiv die Leitzinsen gesenkt und Ende 2011 die Zinsen trotzdem unten gelassen hat“, verweist Bell auf historische Erfahrungen. „Das zeigt, dass die Notenbank über die Inflation hinwegsieht, wenn die Umstände es erfordern, die Zinsen zu senken – und sie wird dies umgekehrt genauso tun, wenn sie die Zinsen erhöht.“