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Indien: Modi auf Standby

Hundert Tage Am 3. September schließt Indiens neue Regierung ihre ersten 100 Tage. Der Amtsantritt von Premierminister Narendra Modi im Mai dieses Jahres wurde von einer Welle der Euphorie und Hoffnung begleitet, der frühere Teeverkäufer aus der Provinz Gujarat könne eine Wirtschaft retten, die in den letzten Jahren hoffnungslos hinter den Erwartungen zurück blieb. Knapp 550 Millionen Wähler verschafften der Bharatiya Janata Partei (BJP) einen siegreichen Stimmenvorsprung, der ihrem Anführer Modi das stärkste Mandat gibt, das ein indischer Premierminister in den vergangenen 30 Jahren hatte. Dies ist vielleicht über viele Jahre hinweg Indiens beste Chance, tiefgehende und bedeutende Reformen durchzuführen, um endlich das volle wirtschaftliche Potenzial des Landes zugänglich zu machen.

Modi – der Wunschkandidat des indischen Unternehmertums – gewann in Folge einer gut durchdachten und großzügig finanzierten Kampagne, die eine inspirierende Botschaft über nationalen wirtschaftlichen Aufschwung verbreitete. Außerdem begrüßten die Wähler die sorgfältig entfaltete Rhetorik eines Mannes aus bescheidenen Verhältnissen, der nie seine Wurzeln in der kleinen Stadt Vadnagar im Nordwesten Indiens vergaß, mit offenen Armen.

„Aber die inspirierende Rhetorik muss nun auch zu Taten führen, wenn diese Regierung nicht den Weg von wohlgemeinten aber letztendlich nur enttäuschenden Reformversuchen beschreiten will.“

Der in Oxbridge ausgebildete Ökonom und Premierminister Indiens von 2004 bis 2014, Manmohan Singh, war in den frühen 1990er Jahren Verfechter von Reformen, die die sozialistisch inspirierte und in der Zeit nach der Unabhängigkeit staatlich gelenkte indische Wirtschaft auf den Prüfstand stellen sollten. Diese Reformen waren nur begrenzt erfolgreich und gerieten schließlich komplett ins Stocken. Folglich wird Singhs zweite fünfjährige Amtszeit als Premierminister wahrscheinlich als eine von wirtschaftlicher Rezession und Misserfolgen geprägte Phase in Erinnerung bleiben.

Eine große Aufgabe

Singhs Nachfolger steht vor einer enormen Aufgabe. Asiens drittgrößte Volkswirtschaft wächst nur noch circa halb so schnell wie in den Jahren vor der globalen Finanzkrise. Die chronische Inflation fiel erst vor kurzen unter 8 Prozent, da die marode Infrastruktur sogar die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln beschränkt. In der Zwischenzeit gibt die Regierung aber regelmäßig mehr Geld aus, als sie durch Steuern und andere Einkünfte einnimmt.

Vor einem Jahrzehnt war Indien in den Augen vieler noch ein ernst zu nehmender wirtschaftlicher Rivale für China. Aber alle Veränderungsversuche, die das Wachstum ankurbeln sollten, scheiterten an einer Koalitionspolitik, die von Kastenzugehörigkeit, Religion und anderen konfessionellen Interessen dominiert wurde und in der die Macht innerhalb einer eigennützigen, politischen Elite weitergegeben wurde. Der Geist der sogenannten „Lizenzherrschaft“ sucht diese Nation noch immer in Form einer aufgeblähten Bürokratie heim und restriktive Gesetze begünstigen die Korruption, während Innovation erdrückt wird.

Es kann zum Beispiel bis zu 12 Jahre dauern, bis eine neue Kohlemine eröffnet wird. Ein Arbeitsgesetz von 1974 verlangt von jedem Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten, eine Erlaubnis der Regierung einzuholen, bevor Mitarbeiter entlassen werden. Modi weiß all das. Sein Ruf als wirtschaftsnaher Reformer wurde in den vielen Jahren als Regierungschef von Gujarat geformt. Heute loben Unternehmen die Bürokratie des Staates, die Geschwindigkeit von Gerichtsbeschlüssen und die niedrige Korruption. Bewunderer sprechen auch in den höchsten Tönen von der effizienten Art und Weise, mit der der von der BJP geführte Bundesstaat im Jahr 2001 die Wiederaufbaumaßnahmen nach einem starken Erdbeben betrieb.

Einer der ersten Schritte Modis nach seiner Vereidigung als Premierminister des Landes am 26. Mai 2014 war die Aufstellung eines jüngeren, strafferen Kabinetts. Das Durchschnittsalter fiel von 66 auf 61 Jahre, und im Vergleich zur vorherigen Regierung sitzen statt 33 nur 23 dienstältere Mitglieder im Kabinett.

Die daraus resultierende frühe Botschaft lautete, dass Modi es wirklich ernst meint und sein Kampagnenversprechen „weniger Regierung“ auf allen Ebenen einhalten will. Außerdem soll Modi seinem Ministerrat – einem größeren Team von circa 45 Beamten – mitgeteilt haben, dass er von ihnen 18 Arbeitsstunden täglich erwarte, obwohl unklar ist, wie viele sich an diesen Aufruf halten werden.

Das Budget

Auch mit dem Haushaltsplan, der bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Juli vorgestellt wurde, machte Modi seine Vorsätze deutlich. Finanzminister Arun Jaitley kündigte für das Wirtschaftswachstum eine Zielgröße von bis zu 8 Prozent (von 4,6 Prozent) jährlich für die kommenden drei Jahre sowie eine Reduzierung des Staatsdefizits auf 3,1 Prozent (von 4,6 Prozent) des Bruttoinlandsprodukts bis Ende März 2017 an. Außerdem gab er Pläne bekannt, die für ausländische Investoren geltenden Limits in der Verteidigungs- und Versicherungsindustrie anzuheben. Darüber hinaus sollen die Subventionen reformiert werden, die die öffentlichen Kassen belasten. Weiterhin ist die Einführung einer landesweiten Mehrwertsteuer geplant, die das momentane uneinheitliche System ersetzen soll.

Es gab keine größere strategische Veränderung im Vergleich zur vorherigen Regierung des Indian National Congress und Kritiker haben ihre Enttäuschung zum Ausdruck gebracht über den augenscheinlichen Widerspruch zwischen der Zusage, ein stabiles und verlässliches Steuersystem zu bieten, und der Versäumnis, einen ungeklärten Steuerstreit mit dem britischen Mobilfunkbetreiber Vodafone bezüglich einer Firmenübernahme aus dem Jahr 2007 zu lösen. Die Modi-Regierung gab bekannt, ein Komitee einzurichten, um alle neuen Fälle von nachträglich erhobenen Steuern eingehend zu prüfen.

Für den Moment setzen wir unser Urteil noch aus, besonders in Anbetracht des kurzen Zeitraums, in dem die neue Regierung den Haushaltsplan vorzubereiten hatte. Die Maßnahmen bestärken den Willen weg von einer teuren, populistischen Politik hin zu stabilen Rahmenbedingungen für mehr Wachstum.

„Indiens Wirtschaft wiederzubeleben ist eine kolossale Aufgabe, aber Modi scheint die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen. Die Inflation ist zwar weiterhin hoch, aber die stagnierenden Industrie- und Produktionssektoren zeigen erste Anzeichen eines Aufschwungs.“

Die Unternehmen sind sehr optimistisch mit Blick auf die neue Regierung. Während unseres letzten Besuchs haben wir erfreut zur Kenntnis genommen, dass Unternehmen bereit sind, in zusätzliche Kapazitäten und Effizienzsteigerungen zu investieren, weil eine Erholung des Konsums und Veränderungen im Konsumentenverhalten erwartet werden. Einzelhändler berichteten von Plänen, ihre Onlineplattformen auszubauen, während andere Unternehmen von einem noch schlummernden Potenzial sprachen, das sich aus einem steigenden Datenwachstum in Indien ergibt. Daneben sehen sie Entwicklungschancen in der digitalen Medienlandschaft.

Aktien

Unterdessen sind Investoren – besonders ausländische – wieder auf den lokalen Aktienmarkt zurückgekehrt, nachdem sie im vergangenen Jahr im Rahmen des berüchtigten „Taper Tantrums“ denjenigen Schwellenländern den Rücken zukehrten, die im Zuge der Anhebung der Zinsen durch die US-Notenbank Federal Reserve besonders anfällig waren.

Der S&P BSE Sensex Index – der die 30 größten Aktientitel der Bombay Stock Exchange abbildet – ist seit Anfang des Jahres über 20 Prozent auf Rekordniveau gestiegen, wobei der Löwenanteil dieser Gewinne seit März gemacht wurde, als sich das Wahlfieber verstärkte.

Vor diesem Hintergrund sind wir der Auffassung, dass Aktien momentan teuer sind, basierend auf der unmittelbaren Aussicht auf Unternehmensgewinne. Um die Aktienpreise auf dem momentanen Niveau zu halten, bedarf es allerdings einer Steigerung der Einnahmen. Diese wiederum dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach von Restrukturierungen in der Wirtschaft abhängig sein.

„Modi muss insbesondere die Grundlage für langfristiges Wirtschaftswachstum stärken und die Steuerbemessungsgrundlage ausweiten, Investitionen aus dem Ausland anziehen, die Infrastruktur auf- und ausbauen sowie unproduktive Staatsausgaben reduzieren. Außerdem muss er genügend geeignete Arbeitsplätze für die 10 Millionen Menschen schaffen, die jährlich auf den indischen Arbeitsmarkt kommen.“

Nächste Schritte

Bisher hat er die Bereiche ins Visier genommen, mit denen sich wahrscheinlich am schnellsten Resultate erzielen lassen, und strebt eine Reform der Subventionen sowie eine Änderung der Regeln für ausländische Direktinvestitionen an. Aber früher oder später wird er Probleme angehen müssen, die nicht einfach nur durch die Legislative und mit einer großen Parteimehrheit angepackt werden können.

Zum Beispiel wird der neue Premierminister gute Beziehungen zu den 29 Regierungschefs der indischen Bundesstaaten aufbauen müssen, wenn er eine landesweite Mehrwertsteuer einführen will, um so das Steuersystem zu vereinfachen und das Staatseinkommen zu erhöhen. Die BJP hat 13 größere Staaten direkt unter Kontrolle, aber Neu-Delhi wird die Unterstützung aller Bundesstaaten brauchen, um eine Steuer zu entwickeln, die im ganzen Land erhoben werden soll.

Unterdessen stellen der Landerwerb und Umweltsorgen zwei der größten Hindernisse für einen Ausbau der Infrastruktur dar, und eine Generalüberholung wird aufgrund der Komplexität und der zahlreichen involvierten Interessengruppen viel Zeit in Anspruch nehmen. Obwohl auch von der vorherigen Regierung viele Infrastrukturprojekte genehmigt wurden, gingen nur wenige davon unter Protesten von Umweltschutzgruppen wie geplant voran.

Alle Maßnahmen werden unbeliebt sein. Eine Verschlankung der Bürokratie wird Arbeitsplätze und die Möglichkeiten zur Selbstbereicherung gefährden. Eine Kürzung der staatlichen Zuwendungen wird den Betroffenen das Gefühl geben, ärmer zu sein. Und das Zulassen von mehr ausländischen Investitionen in Schlüsselindustrien wird unausweichlich von denjenigen verdammt werden, die argumentieren, dass auf diese Weise nationales Erbe billig an Ausländer verscherbelt werde.

Modi muss der Versuchung widerstehen, den eher populistischen Forderungen seiner eigenen Unterstützer nachzugeben. Er muss außerdem diejenigen für sich gewinnen, die dem umstrittenen Helden der Hindu-Übermacht nicht vertrauen, der von der US-Regierung im Jahr 2005 zur „Persona non grata“ abgestempelt wurde.

„Indiens neuer Premierminister muss nun zeigen, dass er die Interessen aller 1,2 Milliarden Bürger eines Landes mit 16 offiziellen Sprachen und vielen Religionen vertritt. Er muss beweisen, dass er bei Rückschlägen – die es zweifellos geben wird – nicht bei einer polarisierenden, religionsbestimmten Politik Zuflucht suchen wird, sondern stattdessen die gleiche Beharrlichkeit und Fähigkeit an den Tag legt, wie zuvor schon in Gujarat.“

 

Kommentar von Adrian Lim, Senior Investment Manager Equities Asia bei Aberdeen Asset Management

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