Bereits zum damaligen Zeitpunkt entsprach die öffentliche Verschuldung ungefähr 130 Prozent des BIP – angesichts des anhaltenden Haushaltsdefizits mit stark steigender Tendenz. Mit anderen Worten: Der öffentliche Bereich und die Wirtschaft Griechenlands waren in eine unhaltbare Situation geraten und das Land war unvermeidbar auf dem Weg in härtere Zeiten.
Zu viel zu schnell gespart
Seitdem ist viel darüber geschrieben worden, wie hart Griechenland behandelt wurde. Wir sind uns – insbesondere im Lichte späterer Erkenntnisse – generell darin einig, dass Griechenland aufgefordert wurde, zu viel zu schnell zu sparen. Dies ist vor dem Hintergrund der aktuellen Einigkeit darüber zu verstehen, wie ähnliche Situationen gelöst wurden – die Erfahrungen aus Lateinamerika und Asien in den 1980er und 1990er Jahren spielten hierbei eine wichtige Rolle. Außerdem wurde Griechenland von einer ganzen Serie anderer Erschütterungen getroffen. Insbesondere ist hierbei die Finanzkrise hervorzuheben, die das griechische Bankensystem fast zum Erliegen brachte und damit auch seine Fähigkeit, Kredite zu vergeben – und dies zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt. Die Banken hätten damals den privaten Sektor unterstützen sollen, der dann sicherlich einige Bereiche vorangebracht hätte, aus denen sich der griechische Staat zurückgezogen hatte, um Geld zu sparen.
In der Zwischenzeit versäumte es Griechenland auch, wichtige Reformen durchzuführen, wie beispielsweise die Einrichtung einer unabhängigen Steuerbehörde und eines unabhängigen nationalen Statistikamtes. Ganz zu schweigen von Reformen des Rentensystems, was angesichts der demografischen Entwicklung einfach unhaltbar ist.
Griechische Wirtschaft legte 2014 wieder zu
Trotz der begangenen Fehler konnte die griechische Wirtschaft im letzten Jahr wieder ein Wachstum verzeichnen. Der primäre öffentliche Haushalt stand wieder im Plus, vor Zinskosten, die trotz der enormen Verschuldung aufgrund der günstigen Kreditbedingungen außergewöhnlich gering sind. Kurz gesagt: Griechenland hätte innerhalb kurzer Zeit wieder auf die eigenen Füße kommen können. Die griechischen gewählten Politiker hätten wieder Spielräume für eigene politische Entscheidungen gehabt.
Stattdessen kam die Regierung von Tsipras mit einem Programm an die Macht, das weniger Einsparungen, weniger Reformen und einen Schuldenschnitt forderte. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres gelang es dieser Regierung, das Vertrauenskapital, das eventuell noch bei Investoren und europäischen Politikern vorhanden war, vollends zu verspielen. Dies kulminierte in Merkels historischen Worten: „Die wichtigste Währung ist verschwunden: Vertrauen.“
Wir haben nie Europas Bereitschaft bezweifelt, seinem schwächsten Mitglied zu helfen und ihm Geld zu leihen – kurz gesagt, an der Bereitschaft, der griechischen Bevölkerung zu helfen. Aber die Kreditgeber können selbstverständlich das Geld ihrer Steuerzahler nicht weiterhin einem Land leihen, das aufgrund der eigenen (fehlenden) Institutionen und einer zweifelhaften politischen Führung nicht in der Lage ist, voranzukommen.
Kurz gesagt, geht es bei der getroffenen Vereinbarung nicht um Geld. Es geht darum, einen modernen griechischen Staat zu schaffen! Daher enthält die „neue“ Liste der Reformen Forderungen, die Unabhängigkeit des griechischen Statistikamtes Elstat zu sichern, die griechische Staatsverwaltung zu entpolitisieren und die Stabilität des Rentensystems zu sichern.
Zu früh für einen Schuldenschnitt
Ein zentrales Element fehlt jedoch in der Vereinbarung: Ein direkter Schuldenschnitt. Warum? Unserer Einschätzung nach, weil es eines der wenigen Mittel ist, das den Kreditgebern zur Verfügung steht, um sicherzustellen, dass die Reformen durchgeführt werden. Die meisten Europäer sollten unserer Einschätzung nach wissen, dass Griechenland in der Zukunft nicht alle Schulden bedienen kann. Daher zweifeln wir auch nicht daran, dass Griechenland irgendwann ein Teil seiner Schulden erlassen wird – jedoch erst, nachdem der griechische Staat ausreichend reformiert wurde.
Die Vereinbarung wirft selbstverständlich eine Menge poltischer Fragen auf – greift die EU zu sehr in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates ein? Viele werden dies bejahen. Wir möchten an dieser Stelle nachvollziehen, warum Griechenland überhaupt in diese Situation geraten ist und mit dieser offenen Frage abschließen: Wer war schlimmer für das griechische Volk? Die europäischen oder die griechischen Politiker?
Wie geht es jetzt weiter? In den kommenden Tage und Wochen wird es viele politische Nachrichten geben, die sich auf die Märkte auswirken. Wir haben bestimmt noch nicht das Ziel erreicht. Wir meinen jedoch, dass wir uns im Endspiel befinden.
Am 20. Juli muss Griechenland Geld an die Europäische Zentralbank überweisen. Die EZB hat bereits praktisch alle Regeln verbogen, um das griechische Bankensystem am Leben zu erhalten. Aber wenn Griechenland am 20. Juli nicht zahlt, gibt es wahrscheinlich keinen anderen Ausweg. Dann muss die EZB den Respirator abschalten! Daher erwarten wir, dass der poltische Prozess bald eine Lösung findet.
Es gibt mehrere Gewinner
Was bedeutet dies für uns als Investoren? Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beendete am Montagmorgen seine Pressekonferenz mit der folgenden Antwort auf die Frage, inwiefern die EU mit ihren Reformforderungen einen Staatsstreich gegen die griechische Regierung unternommen habe: „Da es ein Kompromiss ist, gibt es weder Gewinner noch Verlierer. Ich denke nicht, dass das griechische Volk gedemütigt wurde und ich denke nicht, dass die anderen Europäer ihr Gesicht verloren haben. Es ist eine typische europäische Einigung.“
Das Wochenende wird unserer Meinung nach in die Geschichte eingehen. Es war ein weiterer Härtetest, in dem Europa bewies, dass der Zusammenhalt stark ist, Probleme durch Verhandlungen gelöst werden und dass die Erinnerung an die zahllosen Konflikte der vergangenen Jahrhunderte noch lebendig ist.
Doch es gibt Gewinner. Falls die griechische Krise bald wieder in den Hintergrund rückt, haben wir der europäischen Wirtschaft keinen allzu großen Schaden zugefügt. Vor allem kam das europäische Bankensystem sicher durch die Krise. Dies unterstreicht, dass die Region heute über robustere Einrichtungen verfügt und damit besser für die unvermeidlichen Krisen gerüstet ist, die auch künftig auf uns zukommen werden. Im Augenblick bedeutet dies, dass das Wirtschaftswachstum weitergeht. Wir erwarten in der Eurozone im zweiten Halbjahr 2015 und bis 2016 hinein ein Wachstum des BIP von zwei Prozent und somit eine positive Entwicklung für europäische Aktien.
von Bo Bejstrup Christensen – Chefanalytiker Dankse Invest