Das ifo Streuungsmaß, das monatlich im Rahmen der ifo Konjunkturumfragen berechnet wird, hat zwischen Mai und September dieses Jahres um 6,2 Punkte zugelegt. Ähnlich kräftige Anstiege in einem vergleichbaren Zeitraum gab es zuletzt während der Weltfinanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. Maßgeblich getrieben wird die zunehmende Unsicherheit durch die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor, wo das Streuungsmaß seit Mai um 7,3 bzw. 6,6 Punkte gestiegen ist. Auch im Handel und im Bauhauptgewerbe hat die so gemessene Unsicherheit zugenommen; jedoch war der Anstieg deutlich geringer.
Zeitgleich mit dem Streuungsmaß hat auch der Anteil der vom ifo Institut befragten Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors, der von einer Verbesserung der Geschäftsaussichten ausgeht, zugenommen. So stieg in diesen Wirtschaftsbereichen die Erwartungskomponente des ifo Geschäftsklimaindex, die sich aus der Differenz zwischen dem prozentualen Anteil der antwortenden Unternehmen mit optimistischen Aussichten und jenem mit pessimistischen Aussichten ergibt, seit Mai um 6,6 bzw. 5,5 Saldenpunkte. Allerdings ist nicht nur der Anteil der Optimisten, sondern auch der der Pessimisten (wenn auch in geringerem Umfang) größer geworden, so dass die Streuung der gegebenen Antworten um die durchschnittlichen Geschäftserwartungen herum zugenommen hat.
Bachmann, Elstner und Sims (2013) haben gezeigt, dass die Streuung der ifo Geschäftserwartungen mit anderen Unsicherheitsmaßen auf der Firmenebene stark korreliert ist und deshalb als Maß für die Unsicherheit der Unternehmen interpretiert werden kann. In der Literatur werden vor allem die negativen Effekte von Unsicherheit betont. Unsichere Zeiten sind dadurch geprägt, dass es Unternehmen und Haushalten schwerer fällt, die Zukunft präzise vorherzusagen. Dadurch werden sie zurückhaltender mit ihrer Entscheidungsfreudigkeit. Unternehmen schieben Entscheidungen bezüglich Investitionen oder Neueinstellungen auf, Haushalte verlegen Konsumentscheidungen, insbesondere von langlebigen Gütern, in die Zukunft. Um den Einfluss der jüngsten Unsicherheitsanstiege auf die Konjunktur bestimmen zu können, muss beachtet werden, dass diese Anstiege zum Teil wohl auch durch Änderungen in der wirtschaftlichen Aktivität verursacht wurden; somit könnte es sich also teilweise einfach um Begleiterscheinungen gehandelt haben, die für sich genommen keine weiteren (negativen) Auswirkungen gehabt haben bzw. haben werden. Es muss also der Teil der Unsicherheitsanstiege herausgefiltert werden, der unabhängig von der Wirtschaftsaktivität geschehen ist und somit als exogen interpretiert werden kann. Dies geschieht mit Hilfe von vektorautoregressiven (VAR) Modellen. Um der Vielfältigkeit der möglichen Modellspezifikationen Rechnung zu tragen, wird eine Reihe unterschiedlicher VAR Modelle geschätzt.
Die Ergebnisse zeigen, dass im Mittel 5,6 Punkte des Unsicherheitsanstiegs im Verarbeitenden Gewerbe seit Mai 2018 (in Höhe von insgesamt 7,3 Punkten) exogener Natur waren. Für sich genommen wird ein derart großer Anstieg den Zuwachs der Industrieproduktion in diesem Jahr wohl um durchschnittlich 0,4 Prozentpunkte und im kommenden um nochmals durchschnittlich 1,3 Prozentpunkte dämpfen.2 Dabei wird unterstellt, dass es im Projektionszeitraum zu keiner weiteren exogenen Zunahme der Unsicherheit kommt, sondern sich das Streuungsmaß gemäß historischer Korrelationen allmählich zurückbildet. Die Modellergebnisse zeigen aber auch, dass die Schwankungsbreite recht groß ist: Für das laufende Jahr liegt der Dämpfer beim Anstieg der Industrieproduktion zwischen 0 und 0,75 Prozentpunkten, im kommenden Jahr zwischen 0,6 und 2,1 Prozentpunkten.
(ifo Institut)