Wirtschaft

Inflationsrate bald bei zehn Prozent?

Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers, zu aktuellen Entwicklungen und Einschätzungen der Finanzmärkte

Ruhige Phase scheint nicht in Sicht, eher wird es wohl noch schlechtere Nachrichten von der Inflation und in Bezug auf den Krieg in der Ukraine geben

An den Märkten ist die Volatilität hoch und die Liquidität gering, während die Nachrichtenlage unberechenbar bleibt und sich die makroökonomischen Aussichten verschlechtert haben. Der Zeitraum zwischen dem Ende von Covid und dem Ausbruch des Krieges war schmerzlich kurz beziehungsweise gar nicht vorhanden.

Eine ruhige Phase scheint nicht in Sicht und in den kommenden Wochen wird es wohl noch schlechtere Nachrichten von der Inflation und in Bezug auf den Krieg in der Ukraine geben. Allerdings sind die Renditen bei Unternehmensanleihen auf einem Mehrjahreshoch und insbesondere asiatische Unternehmensanleihen könnten interessant sein.

Erster Zinsschritt

Die US-Notenbank (Fed) und die Bank of England (BoE) haben in dieser Woche das getan, was alle erwartet hatten. Sie erhöhten die Leitzinsen jeweils um 25 Basispunkte (Bps). Die anschließenden Marktkommentare lauteten, dass die Botschaft der Fed eher restriktiver und die der BoE eher expansiver ausfiel.

Deshalb preist der Markt derzeit sechs oder sieben weitere Zinserhöhungen um 25 Bps durch die Fed in diesem Jahr ein und knapp weniger als fünf weitere Zinserhöhungen um 25 Bps durch die BoE.

Aber was weiß der Markt schon? Geldpolitische Entscheidungen sind daten- und nachrichtenabhängig, und in der Ukraine entwickelt sich ein gewaltiges geopolitisches Ereignis, das weiter das Potenzial hat, das Marktgeschehen und in der Tat auch die Wirtschaftsentwicklung in den Jahren 2022 und 2023 in den großen Volkswirtschaften zu bestimmen.

Flache Kurve

Die Renditekurven sind flach und die Terminmärkte legen nahe, dass wir einen sehr gemäßigten Höhepunkt bei den Anleiherenditen in diesem Zyklus sehen werden. Zwar ist hier im Voraus eine gewisse Straffung eingepreist, aber die Renditekurve deutet darauf hin, dass die Inflation zurückgehen oder sich das Wachstum verlangsamen wird, oder dass die Zentralbanken ihre Bilanzen nicht aggressiv abbauen und nicht viele Anleihen dem Markt verkaufen werden.

Das bedeutet auch, dass die langfristigen Anleiherenditen angesichts der flachen Kurve nicht viel Werthaltigkeit aufweisen und die Zentralbanken immer noch die Möglichkeit haben, mit mehr Zinserhöhungen zu überraschen, als derzeit eingepreist sind.

Wiederaufnahme des Bullenmarktes

Diese Botschaft ist jedoch harmlos. Die zehnjährige US-Anleihe beispielsweise weist derzeit eine Zwei-Jahres-Forward-Rendite von 1,80 Prozent auf. Rechnet man eine „Aktienrisikoprämie“ von 3,5 Prozent hinzu (das war die durchschnittliche Differenz zwischen der Rendite zehnjähriger Treasuries und der Gewinnrendite des S&P 500), ergibt sich ein implizites Kurs-Gewinn-Verhältnis des 18,9fachen.

Multipliziert man dies mit dem für 2024 erwarteten Gewinn je Aktie, so ergibt sich ein Indexstand für den S&P 500 von über 5.000 Punkten. Die Marktbotschaft lautet: Die Inflation geht zurück, das Wachstum wird nicht zu sehr beeinträchtigt und der Bullenmarkt kann in den kommenden zwei Jahren wieder aufgenommen werden.

Zehn Prozent Inflation

Es ist nicht sicher, ob diese Schlussfolgerung zwangsweise stichhaltig genug ist, um jetzt eine umfangreiche Kapitalallokation in Richtung Risikoassets durchzuführen. Es stimmt zwar, dass die Bewertungen viel attraktiver sind, aber der kurzfristige Nachrichtenfluss wird problematisch sein. Abgesehen von der Ungewissheit über den Krieg bleibt die größte Sorge die Inflation. Es besteht die Möglichkeit, dass die Inflation im März nach dem durch die Invasion ausgelösten Anstieg der weltweiten Ölpreise sprunghaft ansteigen wird.

Es wird vermutet, dass der US-Verbraucherpreisindex gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozent steigen soll. Das wäre erstaunlich, denn dazu müsste die monatliche Veränderung des Index bei etwa 2,6 Prozent liegen, was der größte monatliche Anstieg des Verbraucherpreisindex seit 1947 wäre (so weit reicht die uns vorliegende Datenreihe von Refinitiv Datastream zurück). Eine Jahresrate von neun Prozent würde den viertstärksten monatlichen Anstieg seitdem bedeuten.

Die US-Benzinpreise sind im März um 21 Prozent gestiegen, und bei einer Gewichtung im Index von knapp über 3,7 Prozent könnte allein dies bis zu 0,78 Prozent zur monatlichen Veränderung beitragen. Aber viele andere Dinge müssen ebenfalls deutlich im Preis steigen. Es ist jedoch möglich und ein so genanntes Vier-Sigma-Ereignis bei den Verbraucherpreisen wäre für die Märkte negativ.

Wo landet die Inflation?

Es geht auch nicht nur um die Inflationsdaten eines Monats. Um bezüglich der Zinsentwicklung weniger nervös zu sein, müssen die Märkte wirklich sehen, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht. Es stimmt zwar, dass der Anleihemarkt eine niedrigere Inflation in der Zukunft eingepreist hat: Die Breakeven-Inflationsrate der zehnjährigen US-Treasury Inflation Protected Securities (TIPS) liegt bei 2,94 Prozent verglichen mit einer Zwei-Jahres-Inflationsrate von 4,72 Prozent.

Doch die Spot-Zahlen selbst müssen erst einmal anfangen zu sinken. Das sollte geschehen. Selbst wenn wir im März zehn Prozent erreichen und die darauf folgenden monatlichen Anstiege des Verbraucherpreisindex doppelt so hoch sind wie im Durchschnitt der vergangenen zwei Jahrzehnte, wird die Rate gegenüber dem Vorjahr sinken.

Das Risiko besteht jedoch darin, dass die Inflation 2023 immer noch bei fünf Prozent liegen könnte, was für die Fed zu hoch wäre. In diesem Szenario scheinen die Preise für Anleihen weit von dem Punkt entfernt zu sein, wo sie sein sollten. Was wir wirklich brauchen, ist ein massiver Rückgang der Energiepreise und begrenzte Zweitrundeneffekte bei Löhnen und anderen Kosten. Das mag zum jetzigen Zeitpunkt Wunschdenken sein, insbesondere wenn sich die Wirtschaft nicht auf ein Wachstum unterhalb des Trends verlangsamt.

Credit-Renditen auf Mehrjahreshoch

Die Gesamtrendite für europäische Investment-Grade-Unternehmensanleihen (auf Indexebene) ist jetzt auf dem höchsten Stand seit 2015 (ohne den Covid-bedingten Anstieg im März 2020). Bei europäischen Hochzinsanleihen ist es in etwa das Gleiche und bei asiatischen Hochzinsanleihen sind die Renditen so hoch wie seit der Krise 2008 nicht mehr. Dieser Sektor wird nach wie vor stark von chinesischen Immobilienemittenten beeinflusst (die Immobilienkomponente des JP Morgan Asian Credit Index weist eine Rendite von 17,4 Prozent auf).

Jedoch könnten die jüngsten politischen Maßnahmen zur Unterstützung der chinesischen Wirtschaft dazu beitragen, dass die Renditen von ihrem derzeit atemberaubenden Niveau zurückgehen. Trotz der globalen Natur des Energieschocks und der Abhängigkeit Asiens vom russischen Öl ist die Inflation in der Region niedrig. Dies könnte auf die Erträge an den asiatischen Märkten ebenfalls unterstützend wirken.

Atempause am Anleihemarkt

Kurzfristig können Anleihen etwas Luft holen, da wir nun den ersten Schritt des geldpolitischen Straffungszyklus erreicht haben und sie diesen nicht mehr nur antizipieren müssen. Die Fed hat ihren Standpunkt dargelegt und Zinserhöhungen auf den kommenden zwei oder drei Sitzungen scheinen fest eingeplant.

Ende Juli jedoch, wenn die Fed die Inflationsdaten für Juni gesehen hat und eine gute Vorstellung davon haben wird, wie sich die Wirtschaft im zweiten Quartal entwickelt hat, könnten die Dinge anders aussehen. Es ist sicherlich kein langweiliges Jahr, und es ist sicher kein Jahr, in dem man leicht positive Investmentrenditen erzielen kann.

(AXA Investment Managers)

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