Wirtschaft

„Geld sucht Auto“: Comeback der deutschen Autoindustrie – mit gedrosseltem Tempo

Von Philipp Stumpfegger, Portfolio Manager und Analyst für den Automobil- und Industriesektor bei der DJE Kapital AG

Free-Photos / Pixabay


Signifikante Teile der Weltwirtschaft kämpfen aktuell mit massiven Lieferengpässen – auch die Automobilindustrie ist hiervon stark betroffen. Resilinc, ein global führendes Unternehmen im Supply Chain Monitoring, berichtet für das 1. Halbjahr 2021 einen Anstieg um 638 Prozent bei Störungen der Lieferketten. Halbleiter und Elektronikbauteile, die auch in der Automobilindustrie unabdingbar sind, sind hiervon besonders stark betroffen – eine Entspannung der Lage ist vor Mitte 2022 nicht zu erwarten.

Mangelwaren: Elektronikteile und Chips

Die Knappheit an Bauteilen führt zu starken Preisanstiegen – sowohl bei Rohstoff- als auch Logistikkosten (>500 Prozent seit Mitte 2020, World Container Index / Drewry).Das größere Problem aber ist die Verfügbarkeit der Elektronikteile, welche die Produktionskapazitäten aktuell stark einschränken. Die Automobilindustrie leidet primär aus zwei Gründen besonders stark unter dem Engpass. Erstens, weil in der ersten Welle der Corona-Krise Aufträge für Vorprodukte unglücklicherweise radikal abbestellt wurden und nun die Kapazitäten der Lieferanten anderweitig ausgebucht sind. Zweitens, weil die Bauteile für die Hersteller tendenziell niedrigmargig sind und somit wenig Anreiz besteht, bei Vollauslastung hierfür „Platz zu schaffen“ bzw. mehr zu produzieren.

Infolge der Chip-Knappheit wurden in den letzten Monaten die von der Industrie viel beachteten globalen IHS-Auto-Produktionsplanungszahlen mehrfach reduziert. Inzwischen erwartet IHS für das 2. Halbjahr einen Produktionsrückgang um -7,6 Prozent im Vergleich zur ersten Jahreshälfte. Auch für 2022 hat IHS im Laufe des Jahres seine Schätzungen um nahezu 7 Prozent reduziert.

Hohe Nachfrage ungebrochen

Das knappe Angebot trifft auf eine ungebrochen hohe Nachfrage. Die gerade neu auf der IAA präsentierten iX Modelle von BMW sind beispielsweise für das Jahr 2021 schon komplett ausverkauft, und diverse andere Hersteller, wie beispielsweise Daimler, berichten für deren EQE (elektrische E-Klasse) ähnliches. Diese Kombination von eingeschränktem Angebot und starker Nachfrage führt bei den Automobilkonzernen zu hoher Preisdisziplin und taktischen Verschiebungen in Richtung profitablerer Baureihen, die sich wiederum in Rekordmargen der Konzerne widerspiegeln. Im 1. Halbjahr haben die deutschen Automobilhersteller beispielsweise eine durchschnittliche Nettogewinn-Marge in Höhe von nahezu acht Prozent erzielt, welche weit über dem Durchschnitt von 5,1 Prozent der letzten 15 Jahre liegt. Ein Vorstandsvorsitzender eines großen deutschen Automobilherstellers brachte die aktuelle Situation im Rahmen der IAA kurz und prägnant auf den Punkt: „Geld sucht Auto“.

Margengipfel bei Automobilherstellern überschritten?

Für die Automobilzulieferer ist die aktuelle Situation hingegen schwieriger, da sie noch volumenabhängiger sind als die OEMs (Original Equipment Manufacturer bzw. Automobilhersteller) und keinen Spielraum bei der Preis-, Discount- und Mixgestaltung haben. Dies hat sich in den letzten Monaten auch durch eine schlechtere Performance der entsprechenden Aktien widergespiegelt. Auch bei den Margen im Vergleich zum historischen Durschnitt hinken die Zulieferer hinterher. Soweit der Status quo. Der Weg wird für Autoproduzenten in der zweiten Jahreshälfte und aller Vermutung nach auch noch Anfang nächsten Jahres deutlich steiniger, da die Lagerbestände in der Industrie mittlerweile stark dezimiert, diverse Optimierungsmöglichkeiten schon ausgereizt sind und sich die Lieferengpässe noch weiter zugespitzt haben. Es ist davon auszugehen, dass die Produktionszahlen sequenziell fallen werden, die Automobilhersteller vorerst den Margengipfel überschritten haben und auch die Analystenschätzungen für das 2. Halbjahr noch Anpassungsbedarf nach unten haben.

Erholung der Lieferketten bietet Chancen für Zulieferer

Der Markt wird höchstwahrscheinlich in den nächsten sechs Monaten anfangen, ein Ende der Lieferkettenkrise zu antizipieren. In solch einem Szenario können gut positionierte Zulieferer ihre Stärken ausspielen: Sie profitieren von der Volumenerholung und werden nicht von einer potenziellen Normalisierung der OEM-Margen getroffen. Zudem, und hier muss man in der Einzeltitelauswahl umsichtig agieren, sollten diese bei Umsatz und vor allem auch Gewinnen nicht durch den mittel- und langfristigen Trend zur Elektrifizierung von Fahrzeugen beeinträchtigt werden. Ein klassisches Beispiel im Small- und Mid-Cap-Bereich hierfür wäre Stabilus, die weltweit bei Gasfedern für Heckklappen mit einem Marktanteil von ca. 70 Prozent führend sind und von dem E-Mobility-Trend nicht betroffen sind.

Risiko – China’s Common Prosperity

Ein weiteres Thema, das in den nächsten Monaten potenziell noch weiter an Fahrt aufnehmen und auch international noch deutlich höhere Wellen schlagen könnte, ist „Common Prosperity“ (allgemeiner Wohlstand) in China. Auch wenn China in der letzten Dekade einige marktwirtschaftliche Züge angenommen hat, ist und bleibt es ein kommunistisches Land, dem neben anderen einschlägigen Themen unter anderem die Ungleichverteilung von Wohlstand und die Macht mancher privater Konzerne missfällt. Die Zielsetzung der Unternehmen solle laut chinesischer Regierung nicht die Maximierung von Gewinnen, sondern die Optimierung des Gemeinwohls sein. In den vergangenen Wochen und Monaten gab es in diversen Sektoren reihenweise staatliche Interventionen, unter anderem auch Aufrufe zu „freiwilligen“ Spenden, welche alles andere als unerheblich ausfallen. Allein die Technologieriesen Tencent und Alibaba haben bekanntgegeben, kumuliert nahezu 20 Mrd. Euro spenden zu wollen (bzw. müssen).

Der Automobilsektor ist bisher von konkreten Maßnahmen verschont geblieben, allerdings hat der chinesische Staat auch hier die Marschroute vorgegeben: Elektroautos seien zu teuer, da für den chinesischen Allgemeinbürger nicht leistbar. Zudem gäbe es zu viele verschiedene Automobilfirmen, die Elektroautos herstellen. Während Letzteres sicherlich eher an die ca. 300 chinesischen Elektromobilitäts-Start-ups gewandt ist, könnten Einschränkungen bezüglich der Preissetzung auch internationale Konzerne treffen. Weiteres staatliches Eingreifen seitens der chinesischen Regierung, das die Autobranche auf diverse Weise treffen könnte, ist folglich durchaus denkbar. Eine potenzielle Stellschraube, die bislang noch halbwegs harmlos ist, könnte die Erhöhung der schon existierenden Luxussteuer auf Autos sein, aber auch drastischere Maßnahmen kann man derzeit nicht ausschließen. Die Folgen für Autokonzerne mit hohem Absatz in China könnten erheblich sein. Daimler beispielsweise verkauft ca. 38 Prozent seiner Autos der Marke Mercedes Benz in China – und erzielt nach unseren Berechnungen somit ca. 27 Prozent des Konzernergebnisses in China.

Elektromobilität siegt – aus Anlegersicht

Mittlerweile deutet alles stark darauf hin, dass Elektromobilität das Rennen um die zukünftig vorherrschende PKW-Fortbewegungstechnologie gewonnen hat. Ob dies nun die richtige oder sinnvollste Entscheidung ist, birgt sicherlich Gesprächsstoff für eine spannende Diskussion, ist aber aus Aktienanalysesicht wenig relevant. Die Weichen sind gestellt – und wenn das „Fit for 55“-Paket, wie von der EU-Kommission vorgesehen, ab 2035 ausschließlich Neuzulassungen ohne jeglichen CO2-Ausstoß zulässt, dann ist nicht nur der Tod des Verbrenners, sondern auch des Hybrids in Europa besiegelt. Relevanter für Investoren sind allerdings die enormen Investitionskosten, die für die Energiewende der Automobilindustrie benötigt werden: Volkswagen allein plant beispielsweise Elektromobilitätsinvestitionen in Höhe von nahezu 73 Mrd. Euro. Zudem muss man beachten, dass die Profitabilität der E-Autos und auch einiger Komponenten nicht zuletzt auch aufgrund der mangelnden Skalierung den Produktmix der Konzerne margenseitig über die nächsten Jahre negativ beeinflussen wird.

Aktuell ist in manchen Bereichen nicht final geklärt, welche Aufgaben bei der Produktion von elektrischen Fahrzeugen von Zulieferern übernommen werden und welche von den Herstellern. Hier verhalten sich die Automobilhersteller sehr unterschiedlich. Ein Beispiel hierfür ist die E-Achse (die Kombination von E-Motor, Getriebe und Leitungselektronik). Historisch gesehen war der Motor in aller Regel eine Kernkompetenz der OEMs – Elektromotoren sind allerdings technologisch deutlich unkomplizierter und auch in der Fertigung weniger anspruchsvoll. Gerade das Argument der Skalierung spricht für Zulieferer, was vor allem im Vergleich zu Autobauern mit geringen Stückzahlen gilt. Aktuell lassen sich manche OEMs ganze E-Achsen-Einheiten von Firmen wie beispielsweise Vitesco (vormals ein Teil von Continental) liefern, während andere sich nur einzelne Komponenten schicken lassen, um diese dann selbst zusammenzubauen.

Energiewende: neue Herausforderungen – aber auch Chancen

Es gibt aktuell wohl kaum einen Sektor, bei dem so viel im Umbruch ist wie im Automobilsektor. Auch wenn auf globaler Ebene die Nachfrage nach PKW ausgesprochen hoch ist, kämpfen die Unternehmen sowohl mit den kurzfristigen Problemen der Lieferengpässe, als auch der längerfristigen „Energiewende des Automobilsektors“. Diese massiven strukturellen Veränderungen in Richtung Elektromobilität sind mit sehr hohen Investitionen, viel Unsicherheit und mittelfristig oftmals niedrigeren Margen verbunden. Diese Unsicherheit spiegelt sich in der Bewertung des Automobilsektors zurecht wider, die sowohl absolut als auch relativ nicht als anspruchsvoll zu erachten ist. Große Veränderungen bringen aber nicht nur Risiken, sondern auch Chancen, was die selektive Auswahl der Unternehmen in diesem Sektor wichtiger denn je macht. Hier gilt es, die strukturellen Gewinner zu identifizieren und gerade bei volumenabhängigen Geschäftsmodellen auch stark auf das Timing des Investments relativ zu den Markterwartungen zu achten.

(DJE-Gruppe)

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