Wirtschaft

Digitalisierung heißt Datenströme lenken lernen

„Wir haben Digitalisierung satt“  – mit diesem bewusst zweideutigen Slogan brachte ein großer CeBIT-Aussteller das Dilemma des aktuellen IT-Megatrends auf den Punkt.

Doch auch wenn es manchem Messebesucher etwas zuviel der Buzzwords war – der Umbruch in der Branche ist sichtbar und greifbar. Analyst Carlo Velten (Crisp Research) stellte zwei Erfolgsgeschichten vor: die der digitalen Bluetooth- Zahnbürste von Oral-B sowie die des populären Kochautomaten Thermomix von Vorwerk. In beiden Fällen hätten die Unternehmen mustergültig gezeigt, dass klassische Produkte durch zusätzliche Konnektivität und Software-Intelligenz zu digitalen Produkten mutieren, die auch zusätzlich Einnahmen generieren. „Die Anbieter erzielen damit deutlich höhere Umsätze und können mit Datenservices und Content lukrative Zusatzgeschäfte etablieren.“ Als Kerntrend diagnostiziert er hierbei das Zusammenwachsen von klassischer IT-Abteilung mit dem wachsenden Segment Produkt-IT. Die eine stellt die solide Basis für Sicherheit, Verfügbarkeit sowie ein durchgängiges Datenmanagement bereit, die andere ermöglicht die innovativen technischen Neuentwicklungen.

Was unterscheidet die erfolgreichen Digital-Companies von herkömmlichen Unternehmen? Es ist die Fähigkeit, Datenströme durch Wertschöpfungs- und Partnernetzwerke laufen zu lassen, so Velten: „Google, aber auch Security-Anbieter sind heute erfolgreich, weil sie alle Daten durch sich durchfließen lassen. Dieses Lenken von Datenströmen müssen auch traditionelle Unternehmen lernen.“ Seine Prognose lautet, dass wir zukünftig immer mehr Software- defined Products sehen werden, bei denen ein neues Release nicht durch Änderungen an der Hardware, sondern an der Software gekennzeichnet ist.

IT der zwei Geschwindigkeiten schafft den Rahmen

Im Mittelpunkt der anschließenden Diskussion stand die Frage, wie Unternehmen die Digitale Transformation am Besten in Angriff nehmen sollten und welche Plattformen sich dafür eignen. Leah Blessin (Accenture) sieht als größte Hürde die existierenden Altsysteme, die den Bewegungsspielraum vieler Organisationen einengen. Um hier nicht unnötig Zeit zu verlieren und bei der Plattformwahl flexibel zu bleiben, empfiehlt sie die Schaffung eines Agilitäts-Layers: „Wir müssen die Bestandssysteme mit ihren Release-Zyklen unter einen Hut bringen mit neuen geschäftlichen Anforderungen. Dieses Ziel erreichen wir durch das Einziehen einer agilen Schicht, die auf DevOps-Methoden beruht.“

In eine ähnliche Kerbe schlug Karin Sondermann (Avanade), wobei sie auch an die anhaltende Bedeutung von Altsystemen erinnerte. Es bedürfe demnach eines neuen IT-Verständnisses im Sinne einer „IT der zwei Geschwindigkeiten“, die sich aufteilt in unterschiedlich schnelle Bereiche bei der Umsetzung. Teil eins dient der Optimierung der klassischen Core-IT-Systeme. Teil zwei fördert die Innovationskraft und Agilität auf der Business Seite durch intelligente und skalierbare IT-Plattformen, bereitgestellt als Service. Solche Dienste leisten in einer enormen Geschwindigkeit einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Die Zweiteilung bietet auch agilere Entwicklungsmöglichkeiten, insbesondere bei Vernetzung und Analyse der wachsenden Datenmengen: „Unternehmen sitzen auf jahrzehntelang angehäuften Datenbergen, die sie möglichst schnell auf intelligente Plattformen bringen müssen. Durch Anreichern, Analysieren und Verwerten schaffen sie die Grundlage für neue smarte Produkte und Software-defined Services.“

Transformation ist Chefsache, nicht eine für CDOs

Etwas differenzierter und pragmatischer, nicht so Schwarz-Weiß möchte das Thomas Endres (Voice) umgesetzt sehen. Seine Gegenmetapher dazu ist ein Kontinuum, das auch im Innovationszusammenhang und bei neuen Geschäftsmodellen Aspekte wie Beschaffung und Lizenzierung, Software-Updates, Lifecycle-Management und Process Domains berücksichtigt.Was das alles für die vielen deutschen Mittelständler bedeutet, erläuterte Peter Heintzen (MT AG) in seinen Ausführungen. Seiner Einschätzung nach setzt die Digitalisierung alteingesessene Branchen wie die Fertigungswirtschaft unter großen Druck. Für diese Unternehmen reicht es nicht mehr, sich nur auf ihre Produkte zu konzentrieren. Sie müssen stattdessen über den Tellerrand schauen auf die Daten, die im Zuge der Digitalisierung entstehen. Die besten Erfolgschancen werden dabei jene haben, denen es gelingt, die die bei der Digitalisierung anfallenden Daten zu besitzen und vermarkten. Die Plattform, die die Daten aggregiert, macht das Geschäft. „Um ein Veredler zu werden, muss ich erst einmal eine Vision entwickeln, wie man Daten korreliert, welche Services man daraus baut und welche Werte man für die Kunden schafft“, sagt Heintzen. Klar ist für Ihn dabei, dass die Unternehmen auf diesem Weg zu Softwareherstellern werden. Dabei sollten sie nicht den Fehler machen, und die Digitalisierung an neue Rollen wie die eines Chief Digital Officers (CDO) zu delegieren. Die anstehende Umwandlung der Infrastruktur, der Organisation und der Prozesse müsse ganz klar oben in der Chefetage aufgehängt sein. Welchen Einfluss die Digitale Transformation auch auf die kaufmännischen Prozesse hat, erläuterte Eckhard Schwarzer (Datev). Seiner Ansicht nach spiele sich dort die eigentliche Revolution ab, weil sich hier die Abläufe durchgängig digital abbilden und automatisieren lassen. Dabei rechnet er in seinem Bereich schon bald mit radikalen Veränderungen: „Wir entwickeln gerade einen FiBU-Automaten, an dessen Ende ein geldwertes Informationskonstrukt steht. Meine Prognose lautet, dass es den klassischen Buchhalter in fünf Jahren nicht mehr geben wird. Seine Aufgaben werden sich dahin verlagern, buchhalterische Informationen zu veredeln und die Ergebnisse zu interpretieren, statt sie in T-Konten zu erfassen.“ Noch bestehen aber enorme Herausforderungen, wenn es um die Integration geschäftlicher IT-Systeme geht. So gebe es in Deutschland derzeit rund 2500 ERP-Anbieter, deren Programme unterschiedlichste Branchenspezifika abdecken. Sein Unternehmen arbeite derzeit daran, Konnektoren zu entwickeln, die einen einheitlichen Datenfluss mit solchen Systemen ermöglichen und so die Basis für eine durchgängige Prozesskette auch über das Unternehmen hinaus bilden.

Kunden sind wichtiger als Daten

Frank Engelhardt (Salesforce) monierte am Ende eine zu starke Datenfokussierung in der Diskussion und betonte die Bedeutung des Kunden: „Das digitale Zeitalter ist das Zeitalter des Kunden. Es geht nicht mehr primär um Preis oder Produkt, sondern darum, dem Kunden an jedem Berührungspunkt mit der Marke eine optimale Erfahrung zu bereiten. Eine exzellente kanal-übergreifende Kundenerfahrung ist der entscheidende Differenzierungsfaktor der digitalen Ära.“ Um das zu realisieren braucht man eine flexible und offene Plattform, die es erlaubt, Kunden relevant & persönlich zu bedienen, schnell auf Veränderung zu reagieren und leicht in verschiedenste bestehende Systeme zu integrieren. Die von einigen ERP Anbietern gehegte Erwartung, dass alles aus einer Hand kommen könne, sei nicht realisierbar. Daher setze sein Unternehmen seit jeher auf ein offenes Ökosystem, leichte Interoperabilität und Partnerschaften. Als Beispiele nannte er in diesem Zusammenhang die Entwicklungs-Partnerschaft zwischen Salesforce und Microsoft oder auch das Zusammenspiel mit Bosch und deren IoT Cloud.

Fazit

Am Ende formulierte Thomas Endres noch einmal ein Plädoyer aus Anwendersicht in Richtung Hersteller, von denen er sich ebenfalls eine Transformation wünscht. Als Problemfelder nannte er beispielsweise Änderungen von Vertragsbedingungen, die immer wieder den Zugriff auf Daten oder deren Migration gefährden. Oder aber unberechenbare Kostenentwicklungen durch neue Lizenzmetriken. „Wenn die IT-Anbieter verlässliche Partner in digitalen Ökosystemen werden wollen, müssen auch sie sich mit ihren Geschäfts- und Lizenzmodellen dem neuen Zeitalter anpassen.“

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