Wo stehen wir in der Branche heute?
ALEXANDER BRINK: Erstmals in der Menschheitsgeschichte erleben wir einen doppelten Veränderungsprozess: die digitale und die nachhaltige Transformation – kurz Zwillingstransformation. Ich würde sagen, es ist richtig Druck auf dem Kessel!
Geht es vorrangig um die grüne Transformation?
ALEXANDER BRINK: Es geht um viel mehr. Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander, Desinformationen und Hassreden nehmen dramatisch zu, die Menschen sind oftmals nicht mehr in der Lage, für ihr eigenes Leben vorzusorgen. Laut dem jüngsten Risikobericht des World Economic Forums sind es die sozialen Risiken, die zunehmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in Zukunft eine neue Ära der sozialen Verantwortung erleben werden.
Warum ist die Versicherungswirtschaft sozial nachhaltig?
ALEXANDER BRINK: Versicherungsunternehmen sind gleich in mehrfacher Hinsicht sozial nachhaltig. Sie reduzieren Risiken wie zum Beispiel Berufsunfähigkeit und schaffen gleichzeitig neue Möglichkeiten, etwa durch Altersvorsorge. Auch die Kapitalanlage kann zur sozialen Nachhaltigkeit beitragen, indem beispielsweise auf die Einhaltung von Menschenrechten geachtet wird. Außerdem basiert das Versicherungsgeschäft auf dem Solidaritätsprinzip: Die Gemeinschaft schützt den Einzelnen! Viele Versicherer setzen sich auch intensiv für das Wohl ihrer Mitarbeitenden ein. Mir sind nur wenige Branchen bekannt, die in ihrem Kern so sozial ausgerichtet sind. Umso erstaunlicher ist es, dass es der Branche bisher nicht gelungen ist, diesen Aspekt überzeugend zu vermitteln.
Hat der Vertrieb versagt?
ALEXANDER BRINK: Der Vertrieb ist in dem Spiel der Gamechanger. Er sorgt dafür, dass Nachhaltigkeit in Produkten von den Kunden verstanden wird und sie eine fundierte Entscheidung treffen können. Wir machen Vertriebler:innen und Makler:innen fit für die nachhaltige und digitale Transformation. Wir führen Trainings durch, helfen durch den Regulierungsdschungel: Zukunftsfähigkeit heißt Enkelfähigkeit!
Und was bedeutet das für die nachhaltige Produktgestaltung?
ALEXANDER BRINK: Nachhaltigkeit wird erst im Kerngeschäft glaubwürdig. Deshalb haben wir ein neues Wirkungsrating entwickelt, das Produkte von Unternehmen bewertet. Im Gegensatz zu anderen Ratings wollen wir aber kein Blaming und Shaming unterstützen. Natürlich hilft eine gute Bewertung den Unternehmen, sich nach außen besser zu positionieren. Es ist aber in erster Linie ein internes Entwicklungsinstrument. Wir legen die Kriterien offen und zeigen auf, wo Nachhaltigkeitshebel vorliegen. Nachhaltige Transformation heißt zu lernen und damit kontinuierlich besser zu werden. Für die Branche heißt das übersetzt, die langfristigen Kundenbedürfnisse zu erfüllen!
Wie bewerten Sie die jüngsten Regulierungen durch den Gesetzgeber?
ALEXANDER BRINK: Große Veränderungen brauchen vor allem intrinsische Motivation. Wir verstehen in unserem Beratungsansatz die Regulatorik als Ausgangspunkt für eine nachhaltige Transformation – nicht, wie viele Wirtschaftsprüfer:innen, als deren Ergebnis. Das wichtigste Learning vorab: Wir halten die Motivation der Mitarbeitenden hoch! Und wir dokumentieren keine Tätigkeiten, sondern Wirkungen! Darauf kommt es an, damit die nachhaltige Transformation gelingt.
Vielen Dank für das Gespräch.