Erinnern Sie sich noch an den Anti- Bürokratie-Beauftragten der EU von 2007 bis 2015? Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber versuchte in dieser Zeit, die Bürokratisierung der EU umzukehren und endete mit dem positiven Eigenlob, dass er ein Viertel der Bürokratiekosten für Unternehmen eingespart habe.
2023 formulierte dann der Bundesminister für Justiz: „Unsere Wirtschaft steht unter Regulierungsstress. Teile der deutschen Wirtschaft leiden sogar unter einem Bürokratie- Burn-out. Sie sind so erschöpft von all den Regelungen aus Europa, von Bund und Ländern, dass sie sich kaum noch auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.“
Dieser Ansicht würden sich sicherlich auch die meisten Finanzberater und Vermögensverwalter anschließen. Die Nachhaltigkeitsabfrage bei Anlageberatungen ist da ein besonders kniffliges Wort-Puzzle. Sie basiert auf einer Vielzahl an Regulierungen und Gesetzen mit mehr Buchstabenkürzeln als in einem Geheimcode: SDG (Sustainable Development Goals der UN), CSR (Corporate Social Responsibility), ESG (Environmental Social Governance), CSDR (Corporate Sustainability Reporting Directive), SFDR (Sustainable Finance Disclosures Regulation) sowie Offenlegungsverordnung und Taxonomie- Verordnung wollen beachtet werden.
Bis heute fehlt allerdings eine klare Regelung, wie denn „Nachhaltigkeit“ abschließend zu definieren sei oder wie sich unterschiedliche Bewertungen trennscharf vornehmen lassen. Im Ergebnis gibt es neben der eigenständigen Einstufung der Produktanbieter noch diverse Siegel oder Ratings, die aufgrund unterschiedlicher Kriterien zu teils gegensätzlichen Ergebnissen kommen. Selbst wenn es leistbar wäre, hier rechtssicher die Kunden zu beraten, ist der Aufwand für Information und Dokumentation nur mit extremem zeitlichen Zusatzaufwand leistbar. Nach Ansicht der Politik sollte dieser zeitliche Mehraufwand ein angemessener Preis für den Vertrieb sein, damit dieser seinen Beitrag für eine bessere Umwelt leistet. Sieht das wirklich jeder so?
Unterstützend können hier digitale Lösungen wirken, die dem Berater ein Höchstmaß an Beratungssicherheit geben und dem Anleger im Gegenzug die Möglichkeit eröffnen, mehr Eigenverantwortung und zeitliche Flexibilität beim „Kauf“ zu übernehmen, ähnlich wie es das Onlineshopping vormacht. Dabei können digitale Lösungen unterstützen, ersetzen aber nicht die Notwendigkeit eines Beraters.
Eine weitere bürokratische Hürde ist seit Jahresanfang vom Vertrieb zu meistern. Nahezu alle Beschäftigten oder Unternehmen müssen sich als Verpflichtete des Geldwäschegesetzes bei der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) registrieren, obwohl Zahlungsströme bei Versicherungen oder Kapitalanlagen vermutlich ausnahmslos unbar, also über Banken, erfolgen. Auch wenn unklar ist, wie viele dieser Verpflichteten jemals eine Verdachtsmeldung eingeben werden, müssen sich zwingend alle vorab im Meldeportal goAML registrieren. Ob damit tatsächlich mehr zur Bekämpfung der Geldwäsche erreicht wird, erscheint mehr als fraglich. Zwar sind die Zahlen der Geldwäscheverdachtsfälle von unter 10 000 im Jahr 2009 auf über 330 000 im Jahre 2022 angestiegen, davon übrigens nur 10 000 aus dem Nichtfinanzsektor. Allerdings weist die FIU-Statistik für 2022 lediglich 1058 Urteile/ Strafbefehle/ Anklageschriften aus. Bereits jetzt führen also 997 von 1000 Verdachtsmeldungen nicht zu einem strafrechtlichen Ergebnis. Ob diese Quote durch die Einbeziehung von Finanzanlagen- und Versicherungsvermittlern sowie Immobilienmaklern steigen wird, wird von vielen Marktteilnehmern mehr als bezweifelt.
Der Hinweis auf Bürokratieabbau fehlt auch acht Jahre nach Edmund Stoibers Wirken in Brüssel in kaum einer ambitionierten politischen Rede. In der Praxis türmen sich immer größere Unsicherheiten und Aufwendungen für die Finanzbranche auf, deren Zielerreichung – gefühlt – nicht wirklich unabhängig geprüft werden. Die Nachhaltigkeitsabfrage und die verpflichtende Geldwäscheregistrierung müssen in der Praxis noch beweisen, ob sie für den großen Erfüllungsaufwand auch einen Nutzen stiften können. Selbst der BaFin-Chef Branson scheint dies mittlerweile kritisch zu sehen.
Für 2024 wünschen wir allen in der Finanzbranche, dass Regulierung und Bürokratie nicht weiter zunehmen, sondern dass die uralte Idee, dass für jede neue Regulierung mindestens eine alte entfallen sollte, auch in unserer Branche zum Tragen kommt. Weitere Belastungen des Vertriebes sollten vermieden werden, dann steigt vielleicht auch wieder die Anzahl an jungen Vermittlern, die sich für die spannenden Themen unserer Branche begeistern lassen.
JENS FREUDENBERG UND DR. MICHAEL KÖNIG