Im allgemeinen Bundestagswahl- Berichtstheater ging der Berliner Enteignungs-Volksentscheid nahezu unter. 56,4 Prozent der Wähler stimmten für die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Branche, Medien und Bevölkerung blieben überraschend ruhig. Das relativiert auch den Gedanken, sein Geld mit Immobilien in Sicherheit zu bringen. Wenn der Staat an das Geld der Bürger will, ist die Immobilie das ideale Opfer. Gesellschaftlicher Konsens und Zugriffsmöglichkeit sind die Erfolgsfaktoren eines direkten Zugriffs, wenn Financial Repression durch Geldentwertung zur Entschuldung nicht ausreicht. Der gesellschaftliche Konsens dürfte klar sein. Immobilienbesitzer haben gegenüber Mietern in den vergangenen 15 Jahren ihre Vermögensposition „zu Lasten der (Mieter-) Gesellschaft“ klar ausgebaut. Gleichzeitig ist die Immobilie immobil, voll transparent und immer liquide, da sie mit Zwangshypotheken belastbar ist.
Konkret steht aber zu befürchten, dass internationale Investoren, die den deutschen Wohnungsmarkt als „sicheren Hafen“ schätzen, auch zu einer ähnlichen Einschätzung der Stimmungslage kommen könnten und lieber zu Hause bleiben. Über die Höhe der Entschädigung lässt sich nämlich vor dem Hintergrund nachvollziehbarer Einkaufspreishistorien durchaus argumentieren. Die Idee der Umwandlung der Entschädigung in zinslose 40-Jahres-Anleihen ist auch nicht von der Hand zu weisen. Griechenland hat es vorgemacht und wurde mit Rating-Hochstufung belohnt, statt wegen Staatspleite abgestraft zu werden.
Der Autor schätzt das Enteignungsrisiko zwar als faktisch gering und verfassungsrechtlich bedenklich ein, jedoch haben sich im Nullzins-Umfeld tradierte Denkungsweisen geändert. Der Staat kann, wie im aktuellen Beispiel Vonovia/Deutsche Wohnen, fast 15.000 Wohnungen ohne Zinsbelastung kaufen, seine Wohnungsgesellschaften weiter bauen lassen und außerdem noch Geld an die Verkäufer zahlen, die damit weitere Wohnungen bauen. Dabei spielt es keine Rolle, dass in Berlin viele vom Land vor 15 Jahren verkaufte Wohnungen zum vierfachen Preis zurückgekauft werden. Nullzins-Verschuldung macht das Perpetuum mobile gestaltbar.
Im September hatte die renommierteste europäische Immobilienmesse, die MIPIM in Cannes, ihre Pforten geöffnet. Das war ein Bärendienst an der Messewirtschaft. Nach knapp 27.000 Teilnehmern 2019 waren diesmal nach internen Informationen ca. 4.000 gemeldet. Identifizierbar waren lediglich zwei deutsche Stadtstände aus Berlin und Hamburg, die aber trotz der Corona-Einschränkungen auf je vielleicht 50 Quadratmetern hinreichenden Gesprächsplatz und leere Tische boten. Mit Blick auf ein übliches Stimmungsbild, das sich nach Messen üblicherweise ziehen lässt, herrschte diesmal Flaute. Die Hoffnung der Branche ruht jetzt auf der Expo Real im Oktober, die aber bei wahrscheinlichen 70 Prozent Besucherrückgang noch als Erfolg zu verbuchen wäre.
Last but not least treiben die Inflationsmeldungen mit einem 28-Jahre-Rekord im September die Branche um. Der Deutsche hat wieder Angst. Medien beschwören die Inflation. Der Sparer sieht sich um seinen Lebensabend bedroht. Die Immobilienwirtschaft profitiert auf der einen Seite von Inflationsängsten, auf der anderen Seite zerlegen Baupreisexplosionen und Lieferschwierigkeiten manche Bauträgerplanung. Wissenschaft und Politik beschwichtigen mit dem Verweis auf Einmaleffekte. Daran glauben aber weder Bevölkerung noch Investoren noch Berater. 95 Prozent der institutionellen Investoren einer Befragung von Tabula glauben an eine Inflation oberhalb der Wissenschaftsprognosen. Sie begründen das mit harten und anhaltenden Fakten einer weltweiten Entwicklung. Auch der Schwarmverstand der Bevölkerung sieht zu über 70 Prozent Inflationsraten über drei Prozent. Davon die Hälfte erwartet ein Überschreiten der Fünf-Prozent-Marke. Eine Umfrage unter Beratern macht deutlich, dass nur 14 Prozent der Berater nicht auf Inflationserwartungen reagieren, sondern auf Inflation ausgerichtet beraten. Der Autor sieht zwar seinerseits kein echtes Inflationsgespenst von über fünf Prozent aus der Kiste kriechen, aber eine Rückkehr zum Null- bis Zwei-Prozent-Korridor gibt es auch nicht. Für Geld gilt heute die uralte Maxime: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Im Gefolge der Inflation wird die EZB wohl neu über die Zinsen nachdenken müssen.
WERNER ROHMERT