Sachwerte / Immobilien

Kolumne Werner Rohmert: Wann werden Wohnungswünsche zu Wohnungsnot

Die Wohnungsnot-Berichterstattung treibt Blüten. Vor günstigen Wohnungen in Toplagen bilden sich fotogene Schlangen.

 

Lange Schlangen würden sich aber auch vor Autohäusern bilden, wenn Mercedes gezwungen wäre, zu Dacia-Preisen zu verkaufen oder vermieten. Aber abends lösen sich die Schlangen auf. Enttäuschte Mercedes-Wunschkäufer würden wieder in ihre Polos steigen und die medienwirksamen Wohnungsschlangen ziehen wieder zu den Eltern oder in ihre alten Bleiben.

Wohnungsnot, Wohnungsbedarf, Wohnungswünsche und kaufkraftunterlegte Nachfrage gehen in der medialen Berichterstattung fleißig durcheinander. Aktuell liefern sich Politik, Branchenvertreter, Verbände, Analysten und Medien intellektuelle Eigentore am laufenden Band. Im Juli geisterte eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) durch nahezu alle Medien. „Wohnungsnot in Köln und Stuttgart am größten“, titelte die BILD in der Zusammenfassung. In den Ballungszentren tobt ein „regelrechter Kampf um Wohnraum“, trötete das IW selber in der Zusammenfassung der an sich guten Studie.

Immobilienverbände und Politik versteifen sich auf die Logik, es müsse mehr gebaut werden, dann würden die Mieten sinken. Das ist eine interessante Vorstellung von Marktwirtschaft. Wer baut schon, damit die Mieten sinken? Die Mieten müssen steigen, damit wieder privatwirtschaftlich gebaut wird. Gebaut wird nur deshalb zu wenig, weil sich Neubau zur Vermietung privatwirtschaftlich immer weniger lohnt und die Risiken aus Politik und Bauwirtschaft immer weniger beherrschbar bleiben. Gleichzeitig dürfte in manchen Großstädten bei explodierenden Bau- und Grundstückskosten im unvermeidlich hochpreisigen Segment schon bald ein Überangebot entstehen. „Sechs Euro“-Wohnungen kann man dagegen nicht neu bauen.

Die aktuelle Wohnungsknappheit in den deutschen Ballungsräumen geht auf steigende Ansprüche und auf geänderte Standortwünsche zurück, bestätigt das Zahlenwerk des Statistischen Bundesamtes. Im vergangenen Jahr sind nach aktueller Meldung rund 267.000 neue Wohnungen entstanden. Die Bevölkerung stieg aber nur um 227.000 Menschen beziehungsweise um 74.000 Haushalte. Für 190.000 anscheinend auf den Straßen campierende Haushalte, sonst gäbe es ja keine „Not“, wurden neue Wohnungen geschaffen. Seit 2010 waren es 1,8 Millionen neue Wohnungen. Ende vergangenen Jahres stand in Deutschland eine Wohnfläche pro Kopf von 46,7 Quadratmeter und damit 1,7 Quadratmeter mehr als noch 2010 zur Verfügung. Die durchschnittliche Wohnung inklusive 17,3 Millionen Single-Haushalten, aber auch inklusive Einfamilienhäusern, war knapp 92 Quadratmeter groß. Selbst wenn jeder in einem eigenen Apartment von 47 Quadratmetern wohnen würde, sähe Wohnungsnot anders aus.

Die Suche nach Schuldigen führt regelmäßig zu langsamen Behörden und Spekulanten. Wie eine brandaktuelle Studie von EBZ-Professor Günter Vornholz, über die das Handelsblatt und Platow Brief berichteten, deutlich macht, wären die Baugenehmigungen auch in den A-Städten ausreichend für den Haushaltszuzug. Behörden dürften eher im Ausnahmefall die Schuldigen sein. Am Markt hören wir aber, dass derzeit viele genehmigte Projektentwicklungen im Verkauf sind, weil die Bauträger der Mut bei steigenden Kosten und absehbar schwieriger Vermarktung verlassen hat. Oder die Banken mauern. Oder die Entwickler suchen ganz einfach noch Dumme, die die Zeitzeichen noch nicht erkannt haben.

Richtig ist aber, dass es wünschenswert wäre, wenn es mehr preisgünstigen Wohnraum gäbe, damit mehr Studienwünsche erfüllt und mehr Mitarbeiter an die ArbeitgeberStandorte ziehen können. Wenn der Bedarf aber wirklich so groß wäre, würden die Arbeitgeber sich etwas einfallen lassen müssen. Für soziale oder politische Belange müsste der Staat einspringen. Aber bedenken Sie: Ist ein Studienwunsch in München ein Notfall? Anders sieht es allerdings beim Lehrer, Altenpfleger, Polizisten oder Taxifahrer aus. Deren kaufkraftschwacher Zuzug könnte in München Mangelware werden. In echten Zuzugs-Regionen dürften aber lediglich 20 Prozent der Bevölkerung wohnen. Die meisten Städte sind heute real unter Berücksichtigung von Einkommen, Zinsen oder Vermieterrendite „erschwinglicher“ als vor 25 oder 40 Jahren.

Das politische Problem sind vor allem die Menschen, die sich vor zehn oder 15 Jahren auf damals stark gesunkenem, niedrigem Preisniveau eine Wohnung mieteten, die sie sich damals gerade leisten konnten. Bei normalen Mieterhöhungen dürften sie auch heute noch da wohnen, wie alle Umfragen zur Wohnungszufriedenheit mit hohen Zufriedenheitswerten belegen. Privat oder beruflich notwendige Umzüge und junge Familien stellen allerdings fest, dass dieser Besitzstand des damaligen Mieterparadieses bei forciert gestiegenen Neuvermietungsmieten nicht gewahrt werden kann. Das schafft ebenso Unruhe wie Spekulation oder Sanierungsschindluder auch der großen AGs. Remanenzeffekte führen zu weiterer Verknappung, da sich auch im Alter Umzüge in kleine Wohnungen nicht mehr lohnen. Junge Familien und weniger bonitäre Randgruppen leiden besonders. In der Summe sind das normale Entwicklungen, die in zyklischen Phasen starker, negativer Veränderungen zu emotionalen Verwerfungen führen.

Allerdings hat das das IW recht mit der Feststellung, dass aktuell weniger gebaut wird als für den aktuell gewünschten Zuzug in die Städte benötigt würde, und dass außerdem noch an falschen Standorten gebaut würde. Für den Autor fragt sich aber, ob Zuzug wirklich zu Wohnungsnot führt oder ob das Wohnungsangebot den Zuzug reguliert und zum anderen ergeben unsere Recherchen durchaus, dass auch an den richtigen Standorten falscher Wohnraum, nämlich „unbezahlbarer“ Wohnraum gebaut wird. Das ist bei heutigem Baupreisgefüge unvermeidbar – ebenso wie spätere Leerstände. Und zum „Megatrend“ in die Metropolen zeichnet sich bereits jetzt schon wieder der Gegentrend ab. Was nützt das Freizeitangebot, wenn man es nicht bezahlen kann? Marktwirtschaft lässt grüßen.

(Rohmert)

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