Zudem könnten die als schwierig geltenden Privatkunden mit der Einführung von neuen Richtlinien für die unabhängige Kundenberatung in Großbritannien (Retail Distribution Review -RDR- der FSA) sogar einen weiteren Wachstumsschub für die ETF-Industrie in Gang bringen. Denn die Bank von England sieht ETFs, trotz der von ihr aufgezeigten Risiken in diesen Produkten, als geeignete Instrumente für Privatanleger. Die Umsetzung dieser Richtlinie wird somit nicht nur Finanzdienstleister, sondern auch für die ETF-Industrie eine Herausforderung. Sie muss sich künftig nicht nur um die Ausbildung und Betreuung von institutionellen Investoren kümmern, sondern die Idee hinter den Exchange Traded Funds der breiten Masse nahebringen.
Auch in den USA stehen ETFs seit längerem im Mittelpunkt einer Untersuchung der Börsenaufsicht SEC, bei der es um den Einsatz von Derivaten in Indexfonds, insbesondere in Short-ETFs geht. In ersten Ergebnissen mahnt die SEC, wie die Bank von England, die Komplexität der Produkte an und prüft neben einem generellen Verbot von Derivaten in ETFs auch die allgemeine Eignung solcher Instrumente für Privatinvestoren.
Trotz der unterschiedlichen Marktstrukturen ist aufgrund der allgemeinen Bestrebungen zur Regulierung der Finanzmärkte und Dienstleistungen in der europäischen Union davon auszugehen, dass Großbritannien den Schritt zur kundenorientierten Honorarberatung nicht allein durchführen wird. Meiner Ansicht nach werden sich andere europäische Länder diesem Ansatz, nach einer Beobachtungsphase, mit ähnlichen Regulierungen anschließen. Das wiederum würde wegen der geforderten Qualifikation der einzelnen Berater zu einer Anhebung der Beratungsqualität im Allgemeinen führen.
Für den deutschen Markt würde eine solche Regulierung eine massive Umstrukturierung der Vertriebswege und -infrastruktur bedeuten. Zum einen müssten viele der etablierten Vertriebe ihr Karriere- und Vergütungssysteme umstellen und ihre Berater hinreichend für den Handel mit börsennotierten Instrumenten qualifizieren. Zum anderen müssten sich die Abwicklungsplattformen an den Börsenhandel anschließen, um den Anlegern und ihren Beratern alle Vorteile im Handel mit ETFs (Stopp-Loss-Orders, etc.) zu ermöglichen.
Was sich im ersten Schritt einfach anhört, ist im Detail sehr komplex. Müssen doch insbesondere im Bereich der freien Finanzdienstleister, eine große Anzahl an Beratern, entsprechend geschult werden, damit sie in der Beratung und Betreuung beziehungsweise bei der Umsetzung der Kundenwünsche keine Fehler machen. Hinzu kommt, dass die Abwicklungsplattformen ihr Geschäftsmodell verändern müssen. Denn neben dem Börsenanschluss mit den entsprechenden Handelsmöglichkeiten werden unter anderem Bargeldkonten benötigt, um die Orders abwickeln zu können. Auch sollten Anbieter und Börsen über den großen Teich blicken und die komplexeren Produkte praxisnah und ohne gesetzlichen Zwang in institutionelle und für Privatanleger geeignete Produkte aufteilen.
Nach der Umsetzung dieser Maßnahmen könnten die Privatanleger in Europa, beginnend mit der Umsetzung der englischen Finanzdienstleistungsrichtlinie im Jahr 2013, eine der großen treibenden Kräfte für das weitere Wachstum der europäischen ETF-Industrie werden.
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