Anscheinend hat die Polarisierung zwischen den Parteien des politischen Spektrums zweierlei zur Folge. Zum einen haben die in der Mitte angesiedelten Liberaldemokraten bei den Wählern, die scharenweise zur Labour-Partei oder zur Konservativen Partei abgewandert sind, massiv an Rückhalt verloren. Zum anderen hat es bei den Wechselwählern in der Mitte des politischen Spektrums eine Verschiebung zugunsten der Konservativen gegeben, da die Labour-Partei durch die Schottische Nationalpartei (SNP) weiter nach links gedrängt wurde, während David Cameron seinen Kurs hielt. Die SNP konnte in Schottland auf Kosten der Labour-Partei und der Liberaldemokraten spektakuläre Zugewinne verbuchen, was die Kluft zwischen Schottland und dem übrigen Großbritannien sicherlich vergrößern und die Diskussion über die Unabhängigkeit Schottlands neu entfachen wird.
Für Investoren wird durch einen klaren Wahlsieg auf kurze Sicht enorm viel Unsicherheit beseitigt, was die Handlungs- und Gesetzgebungsfähigkeit der neuen Regierung angeht. Infolgedessen hat das Pfund Sterling gegenüber dem US-Dollar um ca. 1,25 % und gegenüber dem Euro um ca. 2,5 % aufgewertet, während die Preise von Futures auf den FTSE 100 um etwa 1,7 % gestiegen sind. Dabei verzeichneten vor allem Bank- und Versorgungstitel kräftige Kursgewinne, die durch die von der Labour-Partei angekündigte Politik unter Druck geraten waren.
Früher oder später werden Investoren ihr Augenmerk auf die Unsicherheit richten, die im Vorfeld des für 2017 versprochenen Referendums über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens entstehen wird. Verzögerungen bei Binnen- und Auslandsinvestitionen in Großbritannien könnten die Folge sein. Nach den neuesten Meinungsumfragen haben die Befürworter eines Verbleibs in der EU einen leichten Vorsprung. Die Mehrheit ist aber noch unentschieden.
Auf kurze Sicht wird die Klarheit, die die Wahl gebracht hat, die Konjunktur ankurbeln. Denn Privathaushalte wie Unternehmen können Entscheidungen über größere Anschaffungen und Investitionen jetzt mit größerer Sicherheit im Hinblick auf die Besteuerung und Regulierung treffen. Wenn wir etwas weiter in die Zukunft blicken, gibt das erwartete Wahlergebnis den Konservativen den Auftrag zur Fortsetzung ihrer Sparpolitik, auch wenn diese in den letzten Jahren bereits etwas entschärft wurde. Die Ausgaben der öffentlichen Hand dürften weiter gesenkt werden, und zwar insbesondere bei der Arbeitslosenunterstützung. Hier hatte die Regierung unter Cameron versucht, die finanziellen Anreize für eine Rückkehr in das Arbeitsleben gegenüber einer Inanspruchnahme von Arbeitslosenleistungen zu erhöhen.
Cameron hat ebenfalls versprochen, mehr Geld für das Gesundheitssystem, den National Health Service, zur Verfügung zu stellen und bis zum Ende des laufenden Jahrzehnts auf Steuererhöhungen zu verzichten. Wenn die Regierung ihre Haushaltsziele erreichen will, ist es deshalb umso wichtiger, dass sie durch Effizienzsteigerungen Einsparungen erzielt und gegen Steuerhinterziehung entschlossen vorgeht. Denn das Haushaltsdefizit ist mit knapp über 5 % des BIP nach wie vor hoch, und auch das Leistungsbilanzdefizit ist nicht weit von bisherigen Rekordwerten entfernt. Dies weist auf eine, gemessen an der Zunahme der Inlandsinvestitionen, unzureichende inländische Ersparnisbildung hin.
von Azad Zanga, Senior European Economist, Schroders