Rory Bateman, Leiter für britische und europäische Aktien
„Wie erwartet ist die CDU/CSU mit Angela Merkel als Spitzenkandidatin als Sieger aus der Bundestagswahl hervorgegangen. Die SPD erreichte 20,5 Prozent und geht eigenen Aussagen zufolge in die Opposition. Die dominierenden Parteien in Deutschland vertreten proeuropäische Positionen, wenngleich die am rechten Rand stehende AfD mit 12,6 Prozent besser als erwartet abgeschnitten hat.
Nun beginnen die Koalitionsverhandlungen, die einige Zeit in Anspruch nehmen werden (Informationen zu möglichen Koalitionspartnern finden Sie weiter unten im Kommentar von Europa-Volkswirt Azad Zangana).
Zwar ist Merkel die Kanzlerschaft weiterhin sicher, die Unionsparteien bekamen aber weniger Stimmen als erwartet. Dennoch hat Merkel einen guten Wahlkampf geführt und konnte offenbar wieder mit ihrem ruhigen und kontrollierten Führungsstil überzeugen. Im Ausland gilt sie als ‚sichere Bank‘.“
Der starke Euro – ein Risiko für Deutschland
„Die momentane Stärke des Euro ist für Deutschland schwierig, da die hiesige Wirtschaft sehr exportorientiert ist. Das Wahlergebnis hat den Euro leicht geschwächt, dies allerdings wohl nur vorübergehend. Langfristig wird die Europäische Zentralbank (EZB) die quantitative Lockerung nicht allzu schnell auslaufen lassen, um einen zusätzlichen Aufwärtsdruck auf die Währung zu verhindern. Gleichzeitig spielt EZB-Präsident Mario Draghi das Inflationsrisiko für 2018 herunter.“
Ist eine Fortsetzung des EU-Integrationsprozesses wahrscheinlich?
„Eine Hoffnung war, dass nach den Wahlen in Frankreich und Deutschland eine gestärkte Allianz zwischen diesen beiden Staaten dem Zusammenhalt in der EU wieder neuen Schwung verleihen könnte, nachdem die Briten der Staatengemeinschaft mit ihrem Austrittsvotum geschadet hatten.
Denkbar wäre etwa ein Hinwirken auf eine vollständige Bankenunion oder eine Einlagensicherung für die gesamte Eurozone. In fiskalischer Hinsicht hat Merkel bereits eine ‚Fiskalfazilität‘ für die Eurozone vorgeschlagen, die Staaten günstige Kreditbedingungen und Bürgschaften im Gegenzug für Reformen ermöglichen könnte.
Tiefgreifende europäische Reformen erscheinen angesichts der unsicheren Koalitionsbildung in Deutschland jedoch besonders kompliziert.“
Die europäische Wirtschaft erholt sich
„Nach dem Sieg Emmanuel Macrons bei den französischen Präsidentschaftswahlen besteht weiterhin Hoffnung, dass er die dringend benötigten Strukturreformen umsetzen kann. Dazu zählen eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, eine Beschneidung des Einflusses von Gewerkschaften und eine Senkung der Lohnkosten. Eine dynamischere französische Wirtschaft käme natürlich auch Deutschland und der gesamten EU zugute.
Insgesamt befindet sich die europäische Wirtschaft jedoch auf dem Weg der Erholung. Wir sehen Spielraum für weitere Zugewinne europäischer Aktien, die von den weiterhin niedrigen Zinsen und verbesserten Gewinnmargen der Unternehmen angetrieben werden. Wir gehen sogar davon aus, dass die europäischen Aktienmärkte in den kommenden drei Jahren gegenüber dem aktuellen Stand um bis zu 30 Prozent steigen könnten.“
Niedrige Zinsen führen zu hohen Börsenbewertungen
„Obwohl sich die europäische Wirtschaft und andere wichtige Volkswirtschaften gut entwickeln, schlägt sich dies bislang nicht in einer höheren Inflationsrate nieder. Dementsprechend ist der Druck auf die EZB und andere große Zentralbanken gering, die Zinsen wieder zu erhöhen.
Aus unserem Blickwinkel bedeutet dies, dass sich die Zinssätze auf einem niedrigeren Niveau normalisieren sollten, als dies bislang der Fall war. Die Geschichte zeigt, dass sich die Marktbewertungen erhöhen, wenn die Zinsen sinken. Sollten sich die Zinsen also auf einem niedrigeren Niveau einpendeln als früher, müssten die Marktbewertungen entsprechend höher ausfallen.“
Gewinnmargen steigen wieder
„Seit Beginn der Finanzkrise hinken die Gewinnmargen europäischer Unternehmen denen in den USA hinterher. Die Eurokrise der Jahre 2011 und 2012 wirkt sich stark auf die Unternehmensrentabilität aus. Die Verbesserung der Kapazitätsauslastung und die Senkung der Arbeitslosenzahlen hat viel Zeit in Anspruch genommen.
Jetzt steigen die Gewinnmargen der Unternehmen aber wieder. Wir gehen davon aus, dass es der Beginn eines mehrjährigen Prozesses ist, bei dem die europäischen Gewinnmargen schließlich das Niveau ihrer US-Pendants erreichen werden. Dies legt die Erfahrung der Nuller-Jahre nahe und könnte die Zugewinne an den Aktienmärkten weiter vorantreiben.“
Azad Zangana, Europa-Volkswirt:
Welche Koalitionsoptionen hat Merkel?
„CDU/CSU müssen nun entscheiden, mit wem sie eine Regierung bilden wollen. Die SPD hat eine erneute Koalition bereits ausgeschlossen, sodass eine „Jamaika-Koalition“ mit FDP und Grünen die einzig denkbare Regierungsmehrheit ergibt.
Die FDP ist dabei wegen ihrer unternehmensfreundlichen und liberalen Haltung der bevorzugte Koalitionspartner der CDU/CSU. Zuletzt gab es eine schwarz-gelbe Koalition in der vorletzten Legislaturperiode; hier verlief die Zusammenarbeit gut. Allerdings war es die rigide Haltung der FDP bei der Rettung Griechenlands und anderer Länder der EU-Peripherie, die die Rettungsaktionen während der europäischen Staatsschuldenkrise verzögerte. Eine Koalition zwischen CDU/CSU und FDP könnte also vorteilhaft für deutsche Unternehmen sein, aber weniger gut für den europäischen Einigungsprozess.
Im Übrigen liegen Grüne und FDP auch in Umweltfragen über Kreuz. Vor diesem Hintergrund wird es für CDU/CSU herausfordernd, in dieser Frage zu vermitteln. Wir gehen davon aus, dass die Grünen in Umweltfragen wie dem Dieselmotor eine relativ kompromisslose Haltung einnehmen werden.
Die AfD hat die Erwartungen übertroffen und wird zum ersten Mal und mit der drittstärksten Fraktion in den Bundestag einziehen. Zwar ist ihr Gestaltungsspielraum beschränkt, der politische Rechtsruck ist jedoch ein Signal, dass Einwanderungs- und EU-Politik möglicherweise verändert werden müssen.
Die SPD wird die Möglichkeit nutzen, während Merkels voraussichtlich letzter Amtszeit in der Opposition wieder zu Kräften zu kommen.
Die Koalitionsverhandlungen werden voraussichtlich bis Dezember, möglicherweise auch bis ins nächste Jahr andauern“
(Schroders)