Wirtschaft im Euroraum erholt sich – allerdings langsam
Diese Woche tritt der EZB-Rat zur Beratung über die Geldpolitik zusammen. Angesichts der jüngsten Aufwertung des Euro und der anhaltenden Inflationsverlangsamung warten die Märkte gespannt auf das Ergebnis der Sitzung am Donnerstag.
Die wirtschaftliche Lage im Euroraum hat sich in den vergangenen beiden Quartalen klar verbessert, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass im zweiten Quartal zum ersten Mal nach sechs Quartalen mit einer Kontraktion wieder ein positives BIP-Wachstum verzeichnet wurde. Der Einkaufsmanagerindex, der das Vertrauen der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor misst, stieg bis September sechs Monate in Folge an. Im Oktober ging er zum ersten Mal seit März wieder zurück (von 52,2 im September auf 51,5). Dennoch deutet er darauf hin, dass die moderate Expansion der Region zum Beginn des vierten Quartals anhielt. Der Rückgang machte lediglich den Anstieg vom Vormonat zunichte, und insgesamt liegt der Index deutlich über seinem Stand zu Jahresbeginn. Im historischen Vergleich deutet der Index nunmehr auf eine Quartalswachstumsrate von rund 0,2% im Euroraum hin.
Inflation verlangsamt sich weiter
Die Potenziallücke – die Differenz zwischen dem tatsächlichen BIP (Output) einer Volkswirtschaft und dem potenziellen BIP (effizienter Output) – hat sich im Euroraum seit 2008 stetig ausgeweitet. Dies lässt auf anhaltenden Abwärtsdruck auf die Binneninflation schließen. Seit Ende 2011 hat sich die Inflation im Euroraum deutlich verlangsamt (siehe Grafik). Dies zeigt, dass sich die Region nur allmählich erholt. Im Oktober ging die Inflationsrate von 1,1% im September auf 0,7% zurück und lag damit zum einen unter den Erwartungen und zum anderen auf dem niedrigsten Stand seit Ende 2009. Die Kernrate (ohne Lebensmittel und Energie) sank ebenfalls und liegt inzwischen bei lediglich 0,8%.
Druck auf die EZB, die Geldpolitik weiter zu lockern
Der anhaltende Rückgang der Inflationsrate und der Kursanstieg des Euro verstärken den Druck auf die EZB, ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Aber weder eine weitere Leitzinssenkung noch neue Liquiditätsspritzen in Form eines LTRO (langfristiges Refinanzierungsgeschäft) sind ausgemachte Sache, denn im EZB-Rat herrscht keine Einigkeit. Die Inflationsverlangsamung und die Aufwertung des Euro sprechen für eine Zinssenkung. Verfechter eines unveränderten geldpolitischen Kurses führen dagegen die – wenn auch noch fragile – Belebung der Konjunktur und die Erwartung, dass die Inflation im kommenden Jahr anziehen wird (die EZB prognostiziert für 2014 eine Inflationsrate von 1,3%), als Argumente für ihre Position an.
Trotz des Lockerungsdrucks könnte die Zentralbank noch bis zur Dezember-Sitzung warten, wenn die neuen makroökonomischen Projektionen der EZB-Ökonomen mehr Aufschluss geben dürften. Diese Woche könnte Präsident Draghi anmerken, dass inzwischen die Abwärtsrisiken für die Inflation überwiegen und dass eine Zinssenkung möglich sei, und so zumindest vorübergehend die Aufwertung des Euro zum Stillstand bringen und die Zinserwartungen dämpfen.
Euro erscheint etwas überbewertet
Dies bringt uns zu der Frage, ob der Euro überbewertet ist oder nicht. Geldpolitische Erwartungen waren im vergangenen Jahrzehnt ein wichtiger Faktor für die Entwicklung des EUR/USD-Wechselkurses.
Wir betrachten daher die Differenz zwischen den USD- und EUR-2-Jahres-Swapsätzen, die als Variable für die geldpolitischen Erwartungen dienen kann. Der Spread hat sich ausgeweitet, seit die Fed die Märkte am 18. September mit der Entscheidung überraschte, ihre Käufe von Vermögenswerten noch nicht zu reduzieren. Dies erklärt, warum der Euro gegenüber dem Dollar aufgewertet hat. Aber wenn wir ermitteln wollen, wo ein Wechselkurs liegen „sollte“, ist ein simpler Blick auf eine Grafik nicht ausreichend. Je nachdem, wann die Beobachtungsperiode beginnt, erhält man nämlich unterschiedliche Ergebnisse. Wenn wir den Beginn im Oktober 2012 ansetzen, sollte EUR/USD bei 1,34 handeln; beginnen wir jedoch im Januar 2009, deutet der Spread auf einen EUR/USD-Kurs von 1,24 hin. Insofern können wir nicht mit allzu großer Überzeugung vertreten, dass der EUR/USD-Kurs zu einem Stand von 1,34 – bzw. 1,24 – zurückkehren sollte. Ein Blick auf die Entwicklungen in den Peripherieländern des Euroraums zeigt, dass die Spreads der Peripherieländer-Anleihen gegenüber Bunds ein wichtiger Faktor für die Entwicklung des EUR/USD-Kurses waren. Im Juli 2012 notierte EUR/USD auf dem niedrigsten Stand seit Jahren. Nach Draghis berühmter Aussage („alles Notwendige“) stieg der Kurs dann an. Betrachtet man den EUR/USD-2-Jahres-Zinsspread, die Spreads der Peripherieländer-Anleihen und die Volatilität der Aktienkurse (eine Variable für die Risikobereitschaft), so ergibt sich für EUR/USD ein fairer Wert von rund 1,34. In den vergangenen Jahren ist es jedoch zu Abweichungen von +/- 10 Cents gekommen.
Aus den obigen Berechnungen ergibt sich also, dass EUR/USD im Vergleich zu kurzfristigen Fundamentaldaten möglicherweise etwas überbewertet ist. Von einem Extremniveau sind wir jedoch weit entfernt. Solange sich die Märkte also auf den „dovish“ Ausblick für die Fed konzentrieren und sich die Spreads der Peripherieländer-Anleihen weiter einengen, ist ein weiterer EUR/USD-Kursanstieg möglich. Sollte Draghi jedoch am Donnerstag eine Zinssenkung andeuten, könnte die Aufwertung des Euro vorübergehend zum Stillstand kommen.
Märkte wieder stärker von Liquidität bestimmt
Der „dovish“ Outlook für die Fed hat derweil dazu geführt, dass der Markt stärker von der Liquiditätsversorgung abhängt. Aktien- und Anleihekurse steigen gleichzeitig an, und die Anleger legen mehr Wert auf regelmäßige Erträge als auf Kapitalgewinne. Letzteres zeigt sich am wieder gestiegenen Interesse an höher verzinslichen Fixed-Income-Papieren und der Outperformance von Immobilien und defensiven Sektoren im Vergleich zu globalen Aktien.
Die Frage ist, ob dieses Marktverhalten – das an die Lage im ersten Quartal des Jahres erinnert – von Dauer sein wird. Wenn die Überraschungen bei den Daten wieder geringer ausfallen und die Fed ihre Reduzierung der Käufe von Vermögenswerten (weit) ins kommende Jahr hinein verschiebt, ist nicht auszuschließen, dass die Märkte bis zum Jahresende stärker von der Liquiditätsentwicklung bzw. den Renditen getrieben werden.