Investmentfonds

Bitte kein Greenbashing!

Wer übertriebene Anforderungen an ökosoziale Finanzanlagen stellt, versetzt damit dem Fortschritt bei Klima- und Umweltschutz sowie anderen Nachhaltigkeitszielen einen Rückschlag

Seit einigen Monaten häufen sich Schlagzeilen wie „Grüne Finanzprodukte helfen Klima nicht“, „Bisher fehlt ein Beweis für die Wirkung nachhaltiger Geldanlagen“ oder „Etikettenschwindel des Finanzplatzes“. Dahinter stehen Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Aussagen von Verbraucherschützern oder Angebote von Informationsportalen, die Endverbraucher aufklären sollen. Dies ist eine berechtigte und gute Funktion dieser Akteursgruppen, sofern sie sachlich fundiert und orientierungsgebend ist.

Leider stellen die Veröffentlichungen aber oft rückwärtsgewandte oder einseitige Sichtweisen auf die Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage dar. Die Komplexität des Themas „Nachhaltigkeit“ wird ausgeblendet, wissenschaftliche Erkenntnisse werden ignoriert – zuweilen operiert man gar mit wissentlich falschen Behauptungen. Fragwürdig ist vor allem, wenn Akteure, die noch nie ein Beratungsgespräch mit Erika und Max Mustermann geführt oder einen Fonds gemanagt haben, realitätsferne Forderungen postulieren. Oder gar individuelle Überzeugungen und subjektives Empfinden als allgemein gültige Ansprüche ausgeben. Viele Protagonisten, die das Mainstreaming nachhaltigen Investierens mitprägten, fühlen sich aktuell in alte Zeiten zurückgeworfen, da wieder Grundlagen diskutiert werden, ein alleiniger Fokus auf Ausschlusskriterien herrscht oder mit Kontroversen höchst subjektiv umgegangen wird. Man fühlt sich wie Bill Murray beim täglichen Murmeltiergruß.

Beispielsweise macht eine NGO Mystery Shopping und setzt, verkürzt gesagt, Klimaverträglichkeit mit den sehr anspruchsvollen Zielen des Pariser Klimaabkommens gleich. Ein Bericht folgert dann, dass nicht damit konforme Fonds, die allgemein als nachhaltig beworben werden, Mogelpackungen seien – völlig undifferenziert, ob es sich explizit um Klimafonds oder um weit gefasste Nachhaltigkeitsfonds handelt. So wird ein kompletter Finanzplatz mit Etikettenschwindel- Vorwürfen überzogen. Aber: Klima ist nicht gleich Nachhaltigkeit, und Nachhaltigkeitsfonds sind nicht gleich Klimafonds! Ein massiver Strukturwandel kann nicht von heute auf morgen geschehen, große Bereiche der Realwirtschaft sind weit vom 1,5-Grad-Ziel entfernt. Es gilt, die Vorreiter der Transformation mit deren zukunftsgerichteten Aktivitäten zu unterstützen. Solche Unternehmensaktivitäten und passende Fondskriterien lässt der Bericht allerdings außer Acht – das ist unfair.

Anlegende dürfen sich auch nicht der Illusion hingeben, mit einem Nachhaltigkeitsfonds seien jegliche Verdachtsmomente zu Menschen- und Arbeitsrechtsverstößen kategorisch vermeidbar. Dies muss wegen oft zu hoher Erwartungen an nachhaltige Geldanlagen klar gesagt werden. Fonds investieren meist in weltweit agierende Konzerne mit Tausenden von Mitarbeitenden und Hunderten von Zulieferern. Ganz abwegig wird es, wenn NGO-Vertreter die übliche Fünf-Prozent-Umsatztoleranz als „Hintertürchen“ für ein Weiter-so der Fondsmanager: innen darstellen. Diese tatsächlich sehr niedrige Schwelle ist meist allein schon aus rechtlichen Gründen geboten, da eine Null-Toleranz mangels detaillierter Unternehmensreportings gar nicht verifizierbar wäre und daraus Prospekthaftungsklagen resultieren könnten.

In Bezug auf Kontroversen – oft als Schmutzquote in einem Fonds bezeichnet – legt jeder eine andere Messlatte an, u. a. abhängig von der Wertschöpfungstiefe. Ab wann von einer Kontroverse gesprochen wird und inwieweit ein vermeintlicher Verstoß überhaupt nachgewiesen ist, ist nicht selten Ansichtssache. Auch das Phänomen des „Dual-Use“, also der Mehrfachnutzung von Produkten, ist zu bedenken. Beispielsweise werden Unternehmen manchmal als „Waffen-Involvement“ kategorisiert, wenn deren Produkte eigentlich anderen Zwecken dienen, aber vom Militär genutzt werden, etwa Logistik, Ausrüstung (samt Kleidung und Nahrung) und IT. Da dieselben Aspekte unterschiedlich bewertet werden, kommt es häufig zu sehr gegenläufigen Darstellungen von „Schmutzquoten“ oder „verbotenen Titeln“ in ein und demselben Fonds. So taucht auf manchen Negativlisten die Deutsche Bahn auf, da sie Waffen mit ihren Zügen transportiert.

Gemeinsam ist allen Beispielen, dass sie an einer veralteten, einseitigen Idee nachhaltiger Geldanlagen festhalten. Meist zeichnen sie ein Bild in Schwarz-Weiß- Logik: Etwas ist nachhaltig oder nicht nachhaltig. Es fehlen die in der Realität existierenden Graustufen. Es gibt viele zivilgesellschaftliche Akteure, die sich mit der Dynamik des Marktes für Sustainable Finance mitentwickeln. Andere tun dies nicht. Damit tun sie den Anlegenden keinen Gefallen, da sie mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten Halbwissen und Fehlinformationen, teils in Kampagnenmanier, verbreiten. Das schadet dem von der EU gewünschten stärkeren Mittelzufluss in nachhaltigkeitsorientierte Kapitalanlagen.

Missachtet wird auch, dass die Vorstellungen der Anlegenden zur Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage genauso unterschiedlich und vielfältig sind, wie es das Angebot solcher Finanzprodukte ist. Das wird sich ab kommendem August manifestieren, sobald Finanzberater:innen deren Nachhaltigkeitspräferenzen erfragen müssen. Im Vorfeld schon so zu tun, als wisse man, was das Beste für die Schar der an Nachhaltigkeit interessierten Kleinanlegenden ist, die nicht selten ihren kompletten Spargroschen nachhaltig anlegen möchten und deren Vermögen dann auf einen Schlag den neuen Regeln des um Nachhaltigkeit erweiterten magischen Vierecks entsprechen sollte, wäre eine Bevormundung. Schlimmer noch: Träfe die laut Studien absehbar starke Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen auf ein zu restriktives Angebot, ginge es ans Eingemachte des Ersparten. Denn eine zu enge grüne Auslegung, die auf den Status Quo abzielt, würde zu Blasenbildungen führen; vor Verwerfungen sei hier gewarnt.

Fazit: Nur mit dem Blick in den Rückspiegel (Vergangenheit) kann es nicht gelingen, zum nächsten Ziel zu steuern. Zum Glück ist aber das Gros der Szene nachhaltiger Kapitalanlagen in der Debatte viel weiter. Längst ist eine Typologie wirkungsorientierten Investierens entwickelt, die als echter Leitfaden für Nachhaltigkeit bei Kapitalanlagen dienen kann. Praxisorientierte Sustainable- Finance-Wissenschaftler haben sie 2021 entwickelt. Dort geht es darum zu unterscheiden, dass es zum einen klassische Fonds gibt, die Nachhaltigkeit berücksichtigen, indem sie Aspekte zu Umwelt, Sozialem und der guten Unternehmensführung integrieren und zum Beispiel die in ihrem Wirtschaftssektor jeweils relativ Besten herauspicken (Best-in-Class) oder ein sog. ESG-Screening betreiben, um Chancen zu nutzen und Risiken zu vermeiden (z. B. Ausschlüsse über Negativkriterien). Und zum anderen, dass es in Bezug zur Nachhaltigkeit weitergehende Fonds gibt, die sich ganz konkret an Unternehmen beteiligen, die bereits z. B. zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen beitragen und eine Wirkung im ökosozialen Sinne erzielen (wirkungskompatible oder „impact aligned“ Investments) oder sogar Geldanlagen, die mit dem angelegten Geld die Realisierung bestimmter Nachhaltigkeitsziele überhaupt erst möglich machen, wo es also eine konkrete Mittelverwendung gibt (wirkungseffektive oder „impact generating“ Investments).

ROLAND KÖLSCH

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