Berater

EU-Omnibus-Verordnungsentwürfe zur Nachhaltigkeit

Vereinfachung oder neuer Stolperstein für Finanzintermediäre?

Manchmal fragt man sich, welche Strategie die EU-Kommission verfolgt. Jahrelang wurde die Regulierung im Bereich Nachhaltigkeit immer komplexer – und nun die abrupte Kehrtwende: weniger Berichtspflichten, vereinfachte Nachhaltigkeitsregeln und geringerer Dokumentationsaufwand für Unternehmen. Das klingt zunächst positiv. Doch eine Entlastung für Unternehmen bedeutet nicht automatisch eine Verbesserung für unabhängige Finanzintermediäre. Die zentrale Frage lautet: Was bedeuten die Vorschläge für die Praxis der Finanzberatung, insbesondere im Zusammenhang mit der Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen? Bürokratieabbau oder Verlust an Transparenz?

Die Omnibus-Verordnungsentwürfe sehen vor, dass viele Unternehmen künftig nicht mehr verpflichtet sind, detaillierte Nachhaltigkeitsberichte nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zu veröffentlichen. Die EU-Taxonomie soll weitgehend freiwillig werden und auch die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sollen gelockert werden. Für mittlere und große Unternehmen mag dies eine Erleichterung sein, für Finanzintermediäre könnte es eine Herausforderung darstellen: Woher sollen verlässliche Nachhaltigkeitsinformationen kommen, wenn immer weniger Unternehmen dazu verpflichtet sind?

Bisher galt: Kundinnen und Kunden mussten ihre Nachhaltigkeitspräferenzen äußern, Finanzintermediäre mussten diese im Beratungsprozess berücksichtigen und auf dieser Basis geeignete Produkte empfehlen. Nun besteht die Gefahr, dass selbst nachhaltigkeitsbewusste Anlegerinnen und Anleger nicht mehr ausreichend informiert werden können, weil es keine einheitlichen, standardisierten Unternehmensdaten mehr gibt. Weniger Berichtspflichten für Unternehmen bedeuten nicht automatisch eine Erleichterung für Intermediäre. Im Gegenteil: Die Vergleichbarkeit nachhaltiger Finanzprodukte könnte massiv leiden.

AUSWIRKUNGEN AUF FINANZ- INTERMEDIÄRE: NICHTS NEUES – UND GENAU DAS IST DAS PROBLEM

Für Finanzvermittler bleibt die Nachhaltigkeitsabfrage unter MiFID II und der Insurance Distribution Directive (IDD) vorerst unverändert. Das heißt: Die Pflicht, Kundinnen und Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen, bleibt bestehen. Allerdings könnte sich die Grundlage für die Beratung verschlechtern. Besonders problematisch ist, dass gerade Finanzprodukte, die explizit als nachhaltig beworben werden, auf ESG-Daten von Unternehmen angewiesen sind. Statt klare, standardisierte Daten zu erhalten, werden Finanzintermediäre vermehrt auf ESG-Ratings, externe Analyseanbieter und individuelle Recherchen angewiesen sein. Wer trägt diese zusätzlichen Kosten? Wer übernimmt die Verantwortung, wenn sich Anlegerinnen und Anleger falsch informiert fühlen? Diese Fragen bleiben offen.

Hier zeigt sich einmal mehr, dass Regulierung häufig nicht aus der Perspektive der Praxis gedacht wird. Im Fokus der EU stehen die Unternehmen, nicht aber diejenigen, die diese Informationen für die Kundenberatung nutzbar machen müssen. Für die unabhängigen Finanzintermediäre bedeuten die Vorschläge der EU-Kommission daher mehr Unsicherheit als Erleichterung.

Ein weiteres Problem ist die mögliche Verwässerung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Finanzberatung. Weniger Berichtspflichten für Unternehmen könnten dazu führen, dass nachhaltige Finanzprodukte weniger klare Kriterien erfüllen müssen. Das widerspricht der eigentlichen Intention der Regulierung und könnte langfristig zu einem Vertrauensverlust bei Kundinnen und Kunden führen, die bewusst nachhaltige Anlageentscheidungen treffen wollen. Und von der unsäglichen Aufnahme der Energiegewinnung aus Atom und Gas sowie der Waffenproduktion in die Taxonomie will ich beim Thema Verwässerung gar nicht reden. Ein eigenes Thema.

FORTSCHRITT ODER RÜCKSCHRITT? DIE ANTWORT LIEGT IRGENDWO DAZWISCHEN

Sind die Omnibusvorschläge per se schlecht? Nein. Es war höchste Zeit, die überbordende Bürokratie zu überdenken und abzubauen. Unternehmen mit begrenzten Ressourcen wurden bisher überfordert, was nicht im Sinne eines funktionierenden Marktes sein kann. Die Entlastung der Wirtschaft ist daher ein nachvollziehbares Ziel – aber nicht um den Preis eines neuen regulatorischen Flickenteppichs.

Und: Die EU muss stärker darauf achten, dass die geplanten Änderungen nicht zu neuen Hürden für Intermediäre führen. Klare Übergangsfristen, verbindliche Mindeststandards für die freiwillige Berichterstattung oder eine praxistaugliche Anpassung der Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung müssen dazu beitragen, die neue Regulierung besser an die Bedürfnisse der Finanzbranche und natürlich auch ihrer Kunden anzupassen.

Offen bleibt die Frage, wie sich diese Änderungen langfristig auf die Attraktivität nachhaltiger Investments auswirken werden. Werden die Berichtspflichten reduziert und gleichzeitig keine klaren Alternativen geschaffen, besteht die Gefahr, dass nachhaltige Finanzprodukte an Transparenz verlieren – und damit auch an Attraktivität für Investoren. Dies könnte die Entwicklung eines nachhaltigen Finanzmarktes in der EU insgesamt bremsen.

FAZIT: FINANZINTERMEDIÄRE MÜSSEN GENAU HINSCHAUEN

Für unabhängige Finanzberater und Vermittler von Versicherungsanlageprodukten bedeuten diese Vorschläge vor allem eines: Sie müssen die Entwicklungen genau beobachten. Kurzfristig ändern sich die Pflichten nicht. Eher kurz- als langfristig sind jedoch Anpassungen bei der Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen erforderlich, um den neuen regulatorischen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Hier bleibt es entscheidend, als Branche weiter Druck zu machen, um praxistaugliche Lösungen einzufordern.

Die EU-Kommission will die Nachhaltigkeitsregulierung verschlanken – ob dies tatsächlich eine echte Erleichterung für Finanzintermediäre bringt oder nur neue Herausforderungen schafft, bleibt abzuwarten. Entscheidend ist, dass das Regelwerk konsistent bleibt und die Finanzintermediäre und ihre Kunden nicht mit den Folgen eines unausgewogenen Bürokratieabbaus allein gelassen werden. Der AfW wird weiterhin kritisch begleiten, wenn die Regulierung nicht zu Ende gedacht wird. Denn am Ende sind es die Vermittlerinnen und Vermittler, die in der Praxis mit den Vorschriften arbeiten müssen. Und genau hier muss die Politik ansetzen, wenn sie wirklich für einen funktionierenden und zukunftssicheren Finanzmarkt sorgen will.

NORMAN WIRTH

print

Tags: , , , ,

ASCORE Auszeichnung

Es gibt viele gute Tarife – für die Auszeichnung „Tarif des Monats“ gehört mehr dazu. Lesen Sie hier, was die ausgezeichneten Tarife zu bieten haben.

Tarife des Monats im Überblick

ETF-News

ETF-News

Aktuelle News zu börsengehandelten Indexfonds.

zu den News

Guided Content

Guided Content ist ein crossmediales Konzept, welches dem Leser das Vergleichen von Finanzprodukten veranschaulicht und ein fundiertes Hintergrundwissen liefert.

Die Ausgaben im Überblick

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Mein Geld Newsletter

Melden Sie sich für unseren 14-tägigen Newsletter an.

zur Newsletteranmeldung

Icon

Mein Geld TV

Das aktuelle Video

-
Welches Zukunftsmodell für die Ruhestandsplanung gibt es?

Die Suche nach effektiven Modellen zur finanziellen Absicherung im Alter gewinnt zunehmend an Bedeutung.

zum Video | alle Videos
Icon

Mein Geld Magazin

Die aktuelle Ausgabe

Mein-Geld 02 | 2025

Die Zeitschrift Mein Geld - Anlegermagazin liefert in fünf Ausgaben im Jahr Hintergrundinformationen und Nachrichten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Finanzen.

zur Ausgabe | alle Ausgaben