In China scheinen die politisch Verantwortlichen in Bezug auf den Kapitalismus einen Ansatz des „Rosinenpickens“ übernommen zu haben – oder anders ausgedrückt: sie unterstützen gerne die nAspekte, die ihnen zusagen (wie etwa ein steigender Lebensstandard und die zunehmende Bedeutung Chinas auf der Weltbühne), zeigen sich aber weniger erfreut, wenn es zu unerwünschten Entwicklungen wie fallenden Aktienmärkten kommt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die jüngsten Aktieneinbrüche das Wirtschaftsreformprogramm des Landes gefährden werden. Wir können aber schon mit Sicherheit sagen, dass die Konjunktur deutlich an Fahrt verliert. Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit dieser Abkühlung lautet, ob China der Übergang zu einem niedrigeren, aber qualitativ besseren Wachstum gelingt – wovon Risikoanlagen am Ende profitieren würden – oder ob noch etwas Gravierenderes passieren wird.
Meines Erachtens wäre ein Wachstumsrückgang auf rund 4–5 % keine Katastrophe, sofern dieses Wachstum von besserer Qualität ist und China es außerdem schafft, in der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette aufzusteigen. Es besteht allerdings offenkundig die Sorge, dass die Regierung alles Erforderliche tun wird, um die heimische Wirtschaft zu stützen. Dabei könnte sie auch zu umfangreichen und potenziell unproduktiven Infrastrukturprojekten zurückkehren sowie Unternehmen unterstützen, die besser in Konkurs gehen sollten. Auch wenn nicht dieselben Infrastrukturfehler begangen werden, so hat China doch den „Abwertungsgeist“ aus der Flasche gelassen und damit die Sorge geweckt, dass das Land und seine asiatischen Konkurrenten Deflation in die übrige Welt exportieren könnten. China hat zwar abgewertet, im Vergleich zu seinen asiatischen und Schwellenländer-Pendants ist der Yuan jedoch nach wie vor teuer. Dies hat wiederum Befürchtungen aufkommen lassen, dass die Währungsschwächen anhalten könnten.
Längerfristig muss China seiner Kredit- und Immobilienblase die Luft nehmen, ohne dabei zu viele schädliche Auswirkungen zu verursachen. Angesichts des starken Kreditwachstums in den letzten Jahren dürfte dies allerdings schwierig werden. Die etwas willkürlich anmutenden politischen Reaktionen schwächen zudem das Marktvertrauen in die Fähigkeit der chinesischen Regierung, zu einem „guten“ Ergebnis zu gelangen.
Der Preisverfall bei Rohstoffen sollte theoretisch den Konsum in den Industrieländern ankurbeln. Bislang sieht es aber danach aus, als würden die Ersparnisse aus den niedrigeren Energie- und Rohstoffnotierungen eher gehortet als ausgegeben werden. Es ist sehr schwer zu sagen, ob sich das Verbraucherverhalten nach der Krise grundlegend verändert hat. Vor dem Hintergrund der jüngsten Kursturbulenzen an den Aktienmärkten wäre es jedoch nicht ungewöhnlich, wenn sich die Verbraucher kurzfristig weiterhin in Zurückhaltung üben.
Welche Konsequenzen ergeben sich nun daraus für die Zinsen? Meines Erachtens befinden wir uns definitiv in einem Umfeld, in dem die Zinsen für längere Zeit relativ niedrig bleiben werden. Zwar dürfte die Fed in den kommenden Monaten als Reaktion auf die angespanntere Arbeitsmarktlage die Zinsen erhöhen, sie wird dabei aber nur von einem „sehr entgegenkommenden“ auf einen „entgegenkommenden“ geldpolitischen Kurs umschwenken. Wenn zudem die Volatilität in den Schwellenmärkten anhält, könnte die US-Notenbank sehr schnell feststellen, dass ein stärkerer Dollar ohnehin schon für eine gewisse geldpolitische Straffung sorgt. In Großbritannien rechnen wir mit ersten Zinserhöhungen der Bank of England ab Anfang 2016. In Europa und Japan schließlich wird die Gelddruckmaschine weiterlaufen. In einer Welt, in der unter Anlegern zunehmend Unsicherheit über den weiteren Verlauf des globalen Wirtschaftswachstums herrscht, muss dies jedoch nicht unbedingt zu einer Währungsschwäche führen – zumal sowohl Europa als auch Japan Leistungsbilanzüberschüsse vorweisen können.