Brasilien hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Mais- und Sojabohnenproduzenten der Welt entwickelt. In den kommenden Wochen fällt der Startschuss für die kommende Saison, und viele Marktteilnehmer fragen sich, wieviel Sojabohnen die brasilianischen Farmer in diesem Jahr anpflanzen werden – und welches Produktionspotenzial noch in dem riesigen Land steckt. Interessant ist auch, ob und wie Brasilien seine Infrastruktur- und Transportprobleme lösen kann.
Real-Abwertung macht Farmer froh
Seit über einem Jahr verfolgen brasilianische Farmer eher die Wechselkursentwicklung ihrer Landeswährung Real als die Preise, die an der Rohstoffbörse Chicago Board of Trade (CBOT) für ihre Sojabohnen gezahlt werden.
Gehandelt werden die Sojabohnen-Terminkontrakte nämlich in US-Dollar, und weil der brasilianische Real gegenüber dem Dollar erheblich abgewertet hat, bekommen die Produzenten in Brasilien trotz des 40prozentigen Preisrückgangs seit Sommer 2014 von 13 auf zuletzt neun US-Dollar pro Scheffel für ihre Sojabohnen heute etwa die gleichen oder sogar bessere Preise als im vergangenen Jahr.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Währungsentwicklung einen starken Einfluss auf die Entscheidung der brasilianischen Farmer über ihre Sojabohnen-Anbauflächen im kommenden Jahr hat. Bedingt durch die weitere Abschwächung des Real gegenüber dem US-Dollar kann man, laut Lupus alpha Commodity Report 08-2015, einen Anstieg der Anbauflächen um zwei bis drei Prozent erwarten.
Die erwartete Ausweitung der brasilianischen Anbauflächen würde – unter normalen Wetterbedingungen – die Sojabohnenernte des Landes auf 101 bis 103 Millionen Tonnen erhöhen. Für die Preisentwicklung wäre dies extrem negativ, zumal ein globales Überangebot an Sojabohnen besteht und hinter der Nachfrage des größten Konsumenten China angesichts der Konjunktursorgen des Landes ein großes Fragezeichen steht.
Brasilien ist ein landwirtschaftliches Powerhouse
Die Analysten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen ((FAO) rechnen in ihrem gemeinsamen Agrarausblick bis zum Jahr 2023 mit einer jährlichen Ausweitung der Anbauflächen für Getreide, Ölsaaten, Getreide, Zucker und Baumwolle in Brasilien um 1,5 Prozent auf 69,4 Millionen Hektar. Die Sojabohne bleibt dem Bericht zufolge dabei das wichtigste Produkt, sie wird rund 23 Prozent des Flächenwachstums für sich beanspruchen.
Brasilien wird nach Ansicht der Experten seine globale Stellung als zweitgrößter Lieferant von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Erzeugnissen hinter den USA festigen, dem südamerikanischen Staat wird zudem als einziges Land die Fähigkeit zugesprochen, die zusätzliche weltweite Nachfrage – vor allem aus Asien – bedienen zu können. Schon heute ist Brasilien nicht nur der weltweit größte Exporteur von Zucker, Orangensaft und Kaffee, sondern auch der zweitgrößte Verkäufer von Sojabohnen. Bis 2024 werden dem Agrarausblick zufolge die Sojabohnenexporte des Landes nach China auf 47 Millionen Tonnen ansteigen, nach 31 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr. Diese Zahlen verdeutlichen, dass das Produktionspotenzial Brasiliens unermesslich zu sein scheint.
Bereits seit 1990 hat sich die Agrarproduktion des Landes durch Produktivitätssteigerungen verdoppelt, die Viehproduktion verdreifachte sich sogar. Der Lupus alpha Commodity Report 08-2015 kann den Annahmen der OECD- und FAO-Experten nur zustimmen und hält sie möglicherweise sogar für etwas konservativ. Wenn die Rohstoffpreise wieder auf das Niveau zurückkehren, das sie vor einigen Jahren hatten, wird die landwirtschaftliche Expansion in Brasilien noch weit stärker ausfallen als im OECD/FAO-Bericht erwartet.
Der Blick auf Brasilien offenbart aber nicht nur rosige Ansichten. So ist das Land derzeit von einem wirtschaftlichen Abschwung betroffen, der noch Jahre andauern kann. Die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro werden Brasilien sehr wahrscheinlich noch weiter zurückwerfen, und der Unmut in der Bevölkerung über die Politik der seit fast 15 Jahren regierenden Koalition, die aktuelle Präsidentin Dilma Rousseff und ihren inneren Zirkel wird auch nicht zur Besserung der Lage beitragen. Die Opposition bemüht sich zwar, Präsidentin Rousseff wegen eines seit Jahren gärenden Korruptionsskandals ihres Amtes zu entheben, doch bislang waren diese Bestrebungen nicht von Erfolg gekrönt. Ähnlich wie in den USA besteht in Brasilien eine politische Patt-Situation, wodurch Reformen blockiert werden. Immerhin, für den Agrarsektor gibt es einige Lichtblicke.
Infrastrukturprobleme werden angepackt
Brasilien hat seine Infrastrukturprobleme erkannt und versucht durch den Bau von Straßen, Eisenbahnen, Getreideterminals und Häfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Das beste Beispiel ist das Projekt „Northern Arc“. Zieht man eine horizontale Linie durch die Mitte des Bundesstaates Mato Grosso, des größten Sojabohnen-Anbaugebietes von Brasilien, und teilt das Land entlang dieser Linie in Nord und Süd, so wird künftig die komplette Ernte des nördlichen Teils über das Projekt „Northern Arc“ verschifft. Es umfasst mehrere neue Logistikzentren im Inland und an der Atlantikküste, durch die sich die Exportkapazitäten dramatisch erhöhen werden. Dank des Infrastrukturprojekts kann Brasilien künftig zwischen acht und zehn Millionen Tonnen pro Monat exportieren, vor ein paar Jahren waren im besten Fall sechs Millionen monatlich verschiffbar. Der „Northern Arc“ wird Druck von den Häfen in Santos und Paranagua nehmen, die traditionell Hauptumschlagplätze für die Ausfuhr von Sojabohnen, Mais, Zucker und Fleisch aus Brasilien sind.
In beiden Häfen wurde bereits im vergangenen Jahr die Kapazität erhöht, die chronischen Überlastungsprobleme sind dadurch deutlich reduziert worden. Santos beispielsweise richtete ein computergestützes Planungssystem ein, das Lastkraftwagen nur die Durchfahrt erlaubt, wenn sie im System angemeldet sind. Die chronischen Staus auf den lokalen Straßen gehören seitdem größtenteils der Vergangenheit an. Eine andere Methode half im Hafen von Paranagua, die Effizienz um zehn Prozent zu erhöhen: Die Betreiber eröffneten eine „Express-Line“ für Schiffe, die auf diesem Wege eine beschränkte Anzahl von Lagerhäusern anfahren können. Sowohl in Santos als auch in Paranagua wird daran gearbeitet, die Abläufe weiter zu verbessern, um die Verladekapazitäten zu erhöhen.
Fazit:
Die allgemeine Schwäche der Rohstoffpreise betrifft den Agrarsektor in Brasilien wegen der Schwäche der Landeswährung Real kaum. Dies und die durch Infrastrukturmaßnahmen gefallenen Transportkosten werden die brasilianischen Farmer dazu verleiten, in der beginnenden Saison ihre Sojabohnen-Produktion noch einmal zu erhöhen. Sollte sich das Wetter gegenüber dem vergangenen Jahr nicht ändern, muss deshalb mit einer erneuten Rekordernte gerechnet werden. Bezogen auf den Gesamtmarkt bedeutet dies, dass Brasilien eine Senkung der US-Sojabohnen-Produktion um 3,5 Millionen Tonnen auffangen könnte. Für die Entwicklung der Sojabohnenpreise sind dies keine positiven Vorzeichen.