Stellen Sie sich vor, Sie seien Staatenlenker und alles, was Sie sagen, gelänge. Sie verordnen ein Wachstum von 7,0 %. Wachstum, gemessen per Ende Juni: 7,0 %. Fantastisch! So gesehen in China. Allein der Kleinanleger möchte dies nicht mehr uneingeschränkt glauben und schickt die Börsen in China seit Juni auf Talfahrt. Inzwischen wächst im Rest der Welt die Angst, dass die Kommunistische Partei nicht mehr Herr der Lage ist. Seitdem gleicht der Aktienmarkt in China einer Schaukelbörse. De facto hat die Regierung allerdings eine Korrektur in Kauf genommen. So kann eine E Mail aus der Personalabteilung eines Unternehmens an die Mitarbeiter schon mal mit „Die Börsen sind unbarmherzig, die Menschen sind es nicht“ enden. Außer Kontrolle geraten soll die Korrektur allerdings nicht.
2015 ist im chinesischen Kalender das Jahr des Schafes. Schafsjahre sind, und das unterscheidet sie etwa von Jahren des Drachen, traditionell Jahre ohne größere Höhen und Tiefen. Demnach versprach es dieses Jahr eher angenehm zu werden. Die Aktienmärkte scheinen sich daran nunmehr allerdings nicht zu halten: Seit Mitte Juni haben die Börsen in Shanghai und Shenzhen, wo die sogenannten A-Aktien gehandelt werden, ein Drittel an Wert verloren – Vermögen (mehrheitlich von Kleinanlegern) in Höhe von mehr als 3 Billionen Euro wurde vernichtet. Beide Indizes sind seit Jahresanfang noch deutlich im Plus, von den Hochs im Juni sind sie mit annähernd 30 % jedoch deutlich zurückgekommen. Die Korrektur war fundamental gesehen dringend notwendig und hat eine extreme Überbewertung korrigiert. Festlandinvestoren hatten in einem gigantischen Maße Aktien auf Pump gekauft. Kurseinbrüche dieser Größenordnung sind in China in den letzten zwei Dekaden nicht mehr vorgekommen. Zeitgleich meldet das Statistikamt in Peking: Die chinesische Wirtschaft ist im zweiten Quartal um 7 % gewachsen, was dem Ziel der Regierung für das Gesamtjahr entspricht. Ende Juli verbuchte der Shanghai Composite Index allerdings den größten Kurssturz seit acht Jahren.
Mehr als 8 % verlor er an einem Handelstag. Die Führung in Peking hatte schon Tage vorher mit einem Aufkaufprogramm massiv in das Marktgeschehen eingegriffen. Zudem verbot sie Großaktionären und Managern börsennotierter Unternehmen, ihre Aktien in den kommenden sechs Monaten zu verkaufen.
Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt hat China global eine wichtige Rolle. Laut der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley trug das bevölkerungsreichste Land der Erde im vergangenen Jahr
38 % zum weltweiten Wachstum bei – vor fünf Jahren waren es lediglich 23 %. Vor dem Börsensturz brachten es sämtliche Börsenkonzerne Chinas auf eine Marktkapitalisierung von 10 Billionen Dollar. Das liegt zwar noch weit unter dem Niveau der Wall Street, deren Konzerne insgesamt 24,5 Billionen auf die Waage bringen. Aber schon jetzt hat der chinesische Bankensektor Probleme, vor allem mittelständische Unternehmen mit Geld zu versorgen. Indem die chinesische Regierung Privatanleger in Aktien drängt, versucht sie so, auch das Finanzierungsproblem für Unternehmen zu lösen und nebenbei auch die Schwächen des Bankensektors zu vertuschen. Das hat die Regierung wachgerüttelt und für ein Eingreifen wie in einer Planwirtschaft gesorgt. Ein Staatsfonds führt im Auftrag der Regierung am Markt Stützungskäufe durch, seitens der Zentralbank wurden die Zinsen gesenkt, die Anforderungen an Broker wurden gelockert und schließlich mehr als die Hälfte aller Aktien vom Handel ausgesetzt. An der Börse notierte Unternehmen erhielten zudem die Genehmigung, sich selbst vom Handel auszusetzen.
Derzeit versucht die Führung, die Wirtschaft von einem auf Investitionen basierenden Wachstum hin zu einem von Konsum und Dienstleistungen getriebenen Wachstum zu lenken. Die derzeitige Wachstumsschwäche ist primär auf einen starken Rückgang der Investitionen insbesondere im unternehmerischen Bereich zurückzuführen; das Wachstum der Konsumausgaben war dagegen bisher sehr robust. Dieser Trend könnte sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen. Der eingeleitete radikale Reformprozess könnte zudem dazu beitragen, systemische Risiken zu verringern.
Die Glaubwürdigkeit nimmt Schaden
Bisher herrschte das Paradigma vor, die Regierung habe die Wirtschaft uneingeschränkt im Griff. Der Kursrutsch hat dieser Überzeugung einen Schlag versetzt. Der inoffizielle Deal zwischen der Bevölkerung und den Machthabern, „steigender Wohlstand der Bevölkerung gegen politische Kontrolle“, bekommt daher deutliche Risse. Die Gefahr ist groß, dass die Turbulenzen das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt durchrütteln und damit eine wichtige Nachfragenation für die deutsche Exportindustrie ausfällt. Viele deutsche Global Player sind mittlerweile von der Prosperität der Volksrepublik enorm abhängig, darunter besonders die deutschen Autobauer wie Daimler oder Volkswagen. Letzterer erzielt mittlerweile Umsatzerlöse von deutlich über 30 % im Reich der Mitte. Insgesamt gehen fast 7 % der hiesigen Exporte nach China. Nach Angaben des Verbandes der Automobilhersteller CAAM soll in diesem Jahr der Automarkt nur halb so stark wachsen wie ursprünglich erwartet. Das Börsenbeben in China hängt allerdings nur bedingt mit der Entwicklung der Realwirtschaft zusammen. Zum einen hat der vorangegangene Kursaufschwung an Chinas Börsen nicht allzu lange gedauert und die chinesische Realwirtschaft kaum unterstützt. Folglich dürfte die heftige Korrektur am Aktienmarkt in der Realwirtschaft ebenfalls kaum Spuren hinterlassen. Andererseits herrschen an den vom Weltmarkt abgeschotteten chinesischen Festlandsbörsen andere Gesetze. Hier dominieren Kleinanleger das Geschehen, welche die Kurse in den Monaten zuvor durch massive, zum großen Teil kreditfinanzierte Aktienkäufe in die Höhe getrieben haben.
Die Bewertungen an den repräsentativen Börsensegmenten in China sind deutlich zurückgekommen. Kurzfristig drängen sich keine Neu-Investments im Aktienmarkt auf. Eine neutrale Haltung gegenüber den chinesischen Aktien erscheint uns derzeit gerechtfertigt.
von Florian Koch, Investment Advisory Deutschland, Berenberg