Investmentfonds

„Die entwickelten Märkte sind mittlerweile über das Ziel hinausgeschossen“

Interview mit Steven Bell, Chefvolkswirt von BMO Global Asset Management (EMEA), London, über die aktuelle Entwicklung an den weltweiten Börsen. Herr Bell, was um Himmels Willen ist an den Börsen los? Steven Bell: Die jüngsten Turbulenzen in China, ganz generell in den Schwellenländern und an den Rohstoffmärkten haben die Volatilität rapide nach oben getrieben, die Aktienmärkte der Industrienationen empfindlich getroffen und eine Rallye an den Anleihenmärkten ausgelöst. Die Lage in China beurteilen wir weiterhin skeptisch, die Kursverluste in den Industriestaaten hingegen sehen wir als Kaufgelegenheit.

Sehen wir uns die Märkte im Detail an: Wie bewerten Sie die Entwicklung in China?

Bell: China hat echte – strukturelle und konjunkturelle – Probleme, die durch einige der gut gemeinten Reformen in letzter Zeit noch verschärft wurden. Die jüngste Abwertung des Renminbi etwa ist ein moderater Schritt in Richtung mehr Flexibilität, doch endet damit eine Zeit der Stabilität, und das schürt die Angst vor ‚Währungskriegen‘. Überdies hat das Kreditproblem in der Region am Markt generell zu höherer Risikoaversion geführt. Mit den Kursverlusten geht es der Übertreibung am chinesischen Aktienmarkt an den Kragen: Seit dem Kurshöhepunkt im Juni sind die Aktienmärkte um 37 Prozent gefallen, sie liegen aber immer noch 56 Prozent über dem Durchschnitt der ersten sechs Monate des Jahres 2014.

Hat Sie die Schwäche des Rohstoffmarktes überrascht?

Bell: Dass die Rohstoffpreise sowie die regionalen Aktienmärkte und Währungen wie etwa der australische Dollar daraufhin gesunken sind, ist keine Überraschung. Beim Öl ist die Schwäche Ausdruck des aktuellen und erwarteten Angebots (die Nachfrage steigt deutlich). Ganz grundsätzlich trennen sich die Börsenteilnehmer aktuell von Risiken und liquidieren Positionen.

Die Gründe für den Crash in China haben Sie erläutert, welche Gründe gibt es für den Kurseinbruch in den Industriestaaten?

Bell: Die entwickelten Märkte sind nach unserem Dafürhalten mittlerweile über das Ziel hinausgeschossen. Es besteht keine Inflationsgefahr, und auch Deflation zumindest durch sinkende Rohstoffpreise ist nicht zu erwarten. Die Bewertungen sind nicht übertrieben hoch, und die Geldpolitik bleibt nach wie vor extrem expansiv. Die USA und Europa, die zwei größten Wirtschaftsblöcke der Welt, wachsen – nicht schnell, aber doch schnell genug, um auch weiterhin für sinkende Arbeitslosigkeit zu sorgen. Die US-Notenbank hat mehrfach angekündigt, dass sie in der zweiten Jahreshälfte die Zinsen erhöhen will, sich bei dieser Entscheidung aber von der Datenlage leiten lässt. Da in den USA kaum etwas auf Inflation hindeutet, erfolgt der Zinsschritt nur bei realwirtschaftlichen Verbesserungen. In Europa und Japan ist nur die Frage, ob die Geldpolitik noch weiter gelockert werden soll.

Sie sehen also durchaus Potenzial für bestimmte Aktienmärkte?

Bell: Aus fundamentaler Sicht entwickeln sich die Aktienkurse in Abhängigkeit der Unternehmensgewinne, der Diskontsätze und der Risikoneigung. Selbst wenn die USA später dieses Jahr die Zinsen erhöhen, geht es mit den Anleihenrenditen nur langsam bergauf. Da die Geldpolitik in den übrigen Industrienationen nach wie vor extrem expansiv ist, bleibt der Diskontsatz niedrig. Die Gewinnprognosen für Europa und Japan sind gut. In Europa setzt sich der Konjunkturaufschwung fort, und die Gewinne übertrafen in den vergangenen zwei Quartalen die Erwartungen. Für die nächsten Jahre sind ausgehend vom heutigen Niveau durchaus Wachstumsraten von plus 20 Prozent denkbar. Japan erlebt echte Reformen mit stärkerer Konzentration auf den Shareholder Value. Umgekehrt sind die Gewinnprognosen für die USA wenig beeindruckend – bei den Margen besteht nur noch begrenztes Aufwärtspotenzial, und die Lohnstückkosten steigen trotz lediglich moderat höherer Löhne. Der US-Dollar bleibt besonders gegenüber den Schwellenländerwährungen stark.

Und gegenüber den Währungen der Industriestaaten?

Bell: Gegenüber dem Euro und dem japanischen Yen hat der US-Dollar in den vergangenen Tagen deutlich abgewertet. Grund hierfür sind Auflösungen bestehender Positionen und Sicherungsgeschäfte besonders im Aktiensegment. Beliebt sind bei Anlegern derzeit Übergewichtungen in europäischen Aktien, wobei das Währungsrisiko in Dollar abgesichert wird. Wenn die Kurse dieser Aktien fallen, müssen zur Anpassung der Sicherungsgeschäfte Euro gekauft werden.

Konnten Anleger sich auf eine Entwicklung, wie wir sie gerade an den Märkten beobachten, vorbereiten?

Bell: Der zentrale Multi-Asset-Fonds von F&Cs, der Diversified Growth Fund, wurde in Erwartung steigender Volatilität schon vor diesen Ereignissen vorsichtiger aufgestellt. Er hält Untergewichtungen in Aktien aus Asien ohne Japan und den Schwellenländern und präferiert Investment-Grade-Unternehmensanleihen gegenüber Hochzinsanleihen. Anders als in den USA, Großbritannien (rohstofflastig) und Asien ohne Japan, wo wir zurückhaltender aufgestellt sind, halten wir Übergewichtungen in japanischen und europäischen Aktien. Wir gehen davon aus, dass sich die Märkte in den nächsten Tagen beruhigen, und planen, unsere Übergewichtungen in europäischen Aktien – mit einer Euro-Währungssicherung – und allgemein in den Industriestaaten auszubauen. Die Währungen werden wir absichern. Über Aktien-Kaufoptionen halten wir eine Long-Position in Volatilität, die wir auch beibehalten wollen. Die jüngste Spitze bei der implizierten Volatilität halten wir allerdings für übertrieben.

 

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