So bevorzugt er Unternehmen mit hohem Umsatzanteil in den USA gegenüber Firmen mit starkem China-Engagement. Neben den konsumnahen Bereichen findet er den Bankensektor, den er lange gemieden hat, wieder zunehmend spannend. In welchem Land ein Unternehmen zu Hause ist, spielt für Boris Jurczyk kaum eine Rolle. Als Investor in europäische Aktien hält er es gerade bei großen Unternehmen für viel entscheidender, welches ihre wichtigsten Absatzmärkte sind.
„Daher ist zum Beispiel die Wachstumsentwicklung in China sehr wichtig für die Aktienauswahl“, meint der Fondsmanager. China hat als Absatzmarkt für europäische Unternehmen in den vergangenen Jahren immens an Bedeutung gewonnen. Enttäuschungen bei den Wachstumsaussichten dürften daher deutliche Auswirkungen auf die Kursentwicklung vieler europäischer Unternehmen haben.
Chinas sinkender Kfz-Absatz belastet europäische Autobauer
Auch die jüngsten Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten strahlen nach Europa. Viele Chinesen haben
kreditfinanziert in Aktien investiert und durch den jüngsten Crash Kursverluste erlitten. Die Auswirkungen auf den
Konsum – auch europäischer Produkte – sind noch nicht absehbar. Rückgänge sieht man bereits in den Absatzzahlen
von Autos. Insbesondere bei den Massenherstellern wird für das zweite Halbjahr kein Wachstum mehr erwartet. VW
zum Beispiel dürfte diese Entwicklung stark treffen. Erste Häuser haben ihre Gewinnschätzungen für den Wolfsburger Autohersteller bereits reduziert. Zuversichtlicher ist Jurczyk für Daimler. Das Unternehmen ist dort hauptsächlich im Luxus- und im SUV-Bereich aktiv, die noch die besten Aussichten für das zweite Halbjahr haben.
Über europäische Unternehmen am US-Aufschwung teilhaben
Jurczyk hält sich bei Unternehmen mit einem starken China-Engagement zurzeit eher zurück. Stattdessen sieht er
deutlich bessere Chancen bei europäischen Unternehmen, die einen großen Teil ihrer Umsätze in den USA machen.
Erstens ergeben sich große positive Effekte aus der Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Zweitens hat das Wachstum in den USA schon wieder angezogen, dort wird kräftig konsumiert. Um von diesem Aufschwung zu profitieren, sind für Jurczyk europäische Aktien attraktiver als US-Aktien. „Europäische Unternehmen haben noch einen großen Nachholbedarf gegenüber ihren US-Pendants hinsichtlich Gewinnmargen und Kennzahlen wie Gewinn pro Aktie. Die Schere hat sich hier seit 2009 erheblich geöffnet, und sie wird sich – wenn auch nicht so schnell – wieder schließen“, sagt der Fondsmanager.
Zu viel Lärm um Griechenland, Spanien im Turnaround
Die Diskussion um Griechenland beeinträchtigt die Anlageentscheidungen des Berenberg Portfoliomanagers so gut
wie gar nicht. „Solange keine Ansteckungsgefahr für andere Staaten der Eurozone besteht – und diese ist meiner Meinung nach sehr gering – ist der Medien- und Nachrichtenhype vor allem „Noise“, auf dessen Grundlage keine Anlageentscheidung getroffen werden sollte. Hier gilt es, als Investor Ruhe zu bewahren“, sagt Jurczyk. Er blickt lieber nach Spanien, wo die Wirtschaft einen dynamischen Turnaround vollzieht. Noch hält er es für verfrüht und die Risiken zu hoch, in Unternehmen zu investieren, die direkt vom spanischen Aufschwung profitieren wie heimische Banken oder Versorger. Für die nahe Zukunft sieht er jedoch gute Einstiegschancen.
Positive Gewinnrevisionen für europäische Unternehmen sollten anhalten
Im Gegensatz zu den USA steht Europa noch am Anfang der Erholung. Es gab in diesem Jahr zum ersten Mal seit
Langem wieder positive Gewinnrevisionen, und auch künftig ist damit zu rechnen, dass die Erwartungen an die Unternehmensgewinne nach oben korrigiert werden. Das Quantitative-Easing-Programm der Europäischen Zentralbank hat gerade erst begonnen und zu Jahresanfang die Aktienmärkte kräftig angetrieben. Ebenso hat die Entwicklung des Euro die Aktienmärkte in einem hohen Maße beeinflusst und begünstigt große Teile der europäischen Wirtschaft weiterhin. Als dritter Faktor kommt der gesunkene Ölpreis hinzu, der wie ein enormes Konjunkturprogramm wirkt und vor allem den Konsum ankurbelt. „Den Einfluss der Ölpreisentwicklung auf den Aktienmarkt sollte man nicht unterschätzen. Man muss jedoch genau schauen, in welchem Maße und in welcher Art die einzelnen Unternehmen davon betroffen sind. Es gibt Gewinner und Verlierer.“
Rendite-Risiko-Potenzial von Banken verbessert sich
Gute Anlagechancen bietet für den Fondsmanager der Konsumsektor in Zentraleuropa, gerade in Deutschland. „Wir
finden zurzeit vor allem interessante Anlagemöglichkeiten in den konsumnahen Bereichen sowie in Aktien aus dem
Gesundheits-, Medien- und IT-Bereich“, sagt Jurczyk. Besonders spannend sei der Bankensektor, der für ihn jahrelang ein rotes Tuch war. Das Rendite-Risiko-Potenzial verbessert sich dort zurzeit sehr deutlich. Seine deutliche Untergewichtung, die seit 2008 besteht, hat er bereits leicht reduziert. „In den nächsten Monaten könnten sich hier attraktive Anlagemöglichkeiten ergeben, allerdings wird nicht der gesamte Sektor gefragt sein. Stockpicking ist wichtig“, prognostiziert Jurczyk. Eine aktive Aktienselektion hält der Fondsmanager auch für den Gesamtmarkt aktuell für entscheidend: „Unternehmen, die unter dem niedrigen Ölpreis leiden, sind uninteressant, ebenso Unternehmen ohne zukunftsträchtiges Geschäftsmodell, die mit erheblichen strategischen Herausforderungen zu kämpfen haben wie derzeit die großen deutschen Versorger. Allein wenn man auf solche Werte verzichtet, hat man sehr gute Chancen, besser abzuschneiden als der Index.“