Die aktuelle Situation bietet eine Gelegenheit, ausgewählte Qualitätsunternehmen mit hervorragenden Wachstumsaussichten auf den niedrigeren Bewertungsniveaus zuzukaufen, kurzfristig ist jedoch eine weitere Volatilitätsphase nicht auszuschließen. Es lassen sich zwei Hauptgründe für die jüngste Volatilität am Markt erkennen.
- Der erste Grund sind Gewinnmitnahmen infolge des kräftigen Anstiegs des chinesischen Aktienmarkts in den letzten Monaten. Durch die Unterstützung der geldpolitischen Lockerung, durch Reformmaßnahmen und Kapitalflüsse von Privatanlegern legte der MSCI China A Share Index seit Anfang des Jahres 2015 bis zum 12. Juni um 62% in USD zu. Das Bewertungsniveau war demzufolge relativ hoch.
- Der zweite Grund liegt in der Entscheidung der China Securities Regulatory Commission (chinesische Wertpapieraufsichtskommission, CSRC), durch eine restriktivere Regulierung von fremdfinanzierten Investitionen sowie durch die Beschleunigung des Genehmigungsprozesses für Börsengänge einen Teil des Überschusses aus dem Markt zu nehmen.
Der Unterschied lag diesmal in den Folgen der fremdfinanzierten Transaktionen, die zu einer Verstärkung der Volatilität führten. Laut Marktschätzungen betrugen die ausstehenden Margenfinanzierungen von Wertpapiergesellschaften im Juni bis zu 2,27 Billionen RMB (366 Mrd. USD) und ein weiterer Betrag dürfte auf unregulierte Over-the-Counter-Finanzierungen entfallen. Mit dem Abwärtstrend der Aktienkurse erhöhte sich der Druck zum Abbau der Schuldenlast durch den Verkauf von Aktien.
Begrenzte Auswirkungen auf die Realwirtschaft
Nach heutigem Stand dürften die Auswirkungen des Marktrückgangs auf die Wirtschaft begrenzt sein. Aufgrund der Erosion eines Großteils der Gewinne, die in diesem Jahr am Markt erzielt wurden, könnte der Konsumsektor beeinträchtigt werden. Auch manche Bereiche des Finanzsektors, wie beispielsweise Maklerunternehmen, könnten die negativen Folgen zu spüren bekommen.
Eine stärkere Bedrohung für den Bankensektor oder für die Gesamtwirtschaft ist jedoch nicht zu erkennen. Man kann davon ausgehen, dass die Regierung weiterhin geeignete Maßnahmen zur Förderung der Liquidität ergreifen, die Zinsen senken und den strukturellen Wandel sowie Reformprogramme vorantreiben wird.
Bedrohung oder Chance?
Die Regierung hat bereits ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens ergriffen, einschließlich direkter und indirekter Interventionen sowie noch umfassenderer Schritte. Die wirksamste Vorgehensweise scheint eine anhaltende Stärkung der Wirtschaft durch eine weitere geldpolitische Unterstützung sowie durch Unternehmensreformen. Es ist davon auszugehen, dass die Investoren im Zuge sich stabilisierender Unternehmenserträge und besserer Konjunkturdaten an den Markt zurückkehren werden.
Kurzfristig ist eine weitere Phase der Volatilität nicht auszuschließen. Die Bewegungen, die am Markt zu sehen sind, sind technisch bedingt, da der Anteil an kreditfinanzierten Investitionen zurückging. Es handelt sich nicht um einen fundamental getriebenen Prozess und manchmal geht es einfach zu weit. Hinzu kam, dass eine große Anzahl börsennotierter inländischer Unternehmen die Entscheidung traf, den Handel ihrer Aktien vorübergehend auszusetzen.
Aber auch dieser Aspekt ikönnte als Chance gewertet werden. Die guten Investitionsaussichten in China haben sich offenbar nicht fundamental verändert, sondern lediglich das Bewertungsniveau. Im Rahmen einer Analyse für „Qualität, Wachstum und Aufwärtspotenzial“ bedeutet dies in der Konsequenz ein mittel- bis langfristig höheres Aufwärtspotenzial.
von Laura Luo, Head of Hong Kong China equities, Baring Asset Management, Hong Kong